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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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als einzigen weiteren Schmuck ihren Verlobungsring. Die Kombination wirkte überraschend edel. »Auf in den Kampf«, murmelte sie, schloss die schmiedeeiserne Abtrennung hinter sich und trat noch einmal auf die Terrasse, um zu sehen, ob Krusens schon frühstückten. Aber niemand war zu sehen.
    Sie lief über die Seitentreppe auf den Weg, der ums Haus nach vorn führte, als ein großer, bedrohlich wirkender Schatten über sie hinwegglitt, und dann noch einer und noch einer. Die Schatten flirrten durch die Fächerkronen der iLalapalmen, drehten sich, tanzten ein Scherenschnittballett auf sattgrünem Büffelgras, huschten über fruchtbeladene Guavenbäume. Die Glanzstare, die wie grün schillernde Juwelen auf den goldenen Früchten leuchteten, verschwanden blitzschnell unter den tief herunterhängenden Zweigen, und das zänkische Kreischen der Webervögel in dem hohen Gras verstummte mit einem Schlag. Sie sah hoch.
    Drei riesige Ohrengeier zogen lautlos ihre Kreise in dem türkisblauen afrikanischen Morgenhimmel. Sie verzog das Gesicht. Sie hasste diese großen Aasfresser. Leichenfledderer. Auf wessen Tod lauerten sie heute? Sie waren immer die Ersten, wenn ein Lebewesen sich vorbereitete die letzte Schwelle zu überschreiten, hockten um den Sterbenden und warteten mit schrecklicher Geduld, bis er sich nicht mehr rührte. Dann begannen sie ihr Mahl.
    Ihr Blick folgte den großen Vögeln, die sich in langen Spiralen mit ausgebreiteten Schwingen aus dem Licht tiefer und tiefer schraubten und dann auf einer der großen Schirmakazien am Rande des Buschs landeten. Sie zogen ihre braunen Flügelschultern hoch, krümmten die Hälse und fixierten mit schief gelegten roten Kahlköpfen etwas am Boden unter sich.
    Lag dort ein Kadaver? Unwillkürlich sog sie die Luft zwischen den Zähnen ein wie eine Katze, schmeckte sie. Aber da war nichts, kein klebriger Verwesungsgestank füllte ihren Mund, nur würziger Morgenduft aus nachtfeuchtem Gras und überreifen Guaven. Die Geier warteten unerbittlich. Ein unbehagliches Kribbeln lief ihr über die Haut. Vielleicht endete unter dem Baum gerade ein Leben? Wohl ein verletztes Tier, dachte sie, und noch bevor es tot wäre, würden sie ihm als Erstes die Augen auspicken.
    So als wollten sie seine Seele auslöschen, dachte sie, sah für Sekundenbruchteile leere Augenhöhlen, die sie aus einem Gesicht anstarrten, das einmal einem Menschen gehörte hatte, und da, wo der Mund gewesen war, grinsten Totenkopfzähne. Abwehrend hob sie die Hände, aber das Bild ließ sich nicht wieder in die dunklen Tiefen ihrer Erinnnerung zurückstoßen. Sie hatte das Gesicht einmal gekannt. Der Mund hatte für sie gelächelt, die Lippen hatten ihre geküsst, die Augen hatten sie liebkost. Diese grauen Augen mit den grünen Pünktchen, die immer seine Seelenlage widerspiegelten. Martin.
    Sie bog ihren Kopf zurück. Ein Vogellaut fing sich in ihrer Kehle, wie im Krampf schüttelte sie sich, die Haare flogen ihr ums Gesicht, das Schlüsselbund in ihrer Hand klingelte. Sie musste sich an den Stamm des hohen Avocadobaums lehnen, bis dieses Schütteln aufgehört hatte. Reglos stand sie an die warme Rinde des alten Baums gepresst, atmete. Ein, aus, ein, aus. Als sie sich wieder spürte, prüfte sie den Grund unter ihren Füßen, ehe sie den ersten unsicheren Schritt wagte, als stünde sie auf brüchigem Eis.
    Ihr Blick streifte ihre Swatch. Mit einem Schlag war sie zurück in der Wirklichkeit. Schon acht, höchste Zeit fürs Frühstück. Die Journalisten landeten am späten Vormittag. Es waren Sommerferien, die Straßen würden überfüllt sein. Sie stieß sich von dem Baum ab, lief ums Haus auf den Hof. »Ich fahre in einer halben Stunde, um die Fernsehjournalisten abzuholen, Dabu«, rief sie dem Zulu zu, der mit seinem Sohn Musa, einem breitschultrigen Mann Mitte zwanzig, nur mit langen Khakihosen und einem olivfarbenen Schlapphut bekleidet, ein paar große Jutesäcke auf einen Jeep lud.
    »Sakubona«, grüßte sie ihn lächelnd. Dabus Sohn Musa hatte nicht nur die Gärtnerseele seines Vaters geerbt, sondern besaß auch die Erlaubnis, Gäste im Geländewagen zu fahren. Er war für Inqaba ganz und gar unersetzlich. »Musa, du musst gegen zwei wieder auf der Farm sein, für den Nachmittag ist als Erstes eine Rundfahrt durchs Reservat geplant. Philani begleitet uns.« Dabulamanzis anderen Sohn, Philani, hatte sie auf ihre Kosten zum Game Ranger ausbilden lassen müssen. Ohne einen Wildhüter hätte sie ihren Park nicht

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