Ein Land, das Himmel heißt
Annäherungsversuch hereinzufallen. Sie würde auf der Hut sein müssen.
Ruhig sah sie ihm in die Augen, ihre Gefühle wieder unter Kontrolle. »Sie müssen sich irren, ich habe niemandem mit dem Gewehr gedroht.«
Die Fältchen in seinen Augenwinkeln vertieften sich, die Mundwinkel zuckten. »Ah, ja.« Er trank einen Schluck. »Hab ich mir wohl eingebildet. Oder es war eine Fata Morgana.«
Sie nickte, glaubte nicht für eine Sekunde, dass er davon überzeugt war. Ein unterschwelliges Grollen hinter den Hügeln, ein Windstoß, der durch die Büsche fegte, enthob sie einer Antwort. »Entschuldigen Sie mich, ich glaube, es wird gleich ein Gewitter geben. Wir müssen die Zeltseiten herunterlassen.«
Sie schafften es gerade noch, bevor mit einem ohrenbetäubenden Krachen der erste Blitz herunterfuhr und der Himmel alle Schleusen öffnete. Die tintenblaue Nacht wurde schwarz, der Regen rauschte mit mächtigem Trommeln aufs Zeltdach, fiel als Vorhang von den Rieddachkanten, durchnässte jeden auf der Stelle, der sich nicht in Sicherheit gebracht hatte. Das Zelt ächzte im Sturm, der Geräuschpegel im Inneren stieg, übertönte bald das Toben der Naturgewalten. Es herrschte blendende Stimmung. Mitten hinein ins Durcheinander ertönte das Klingeln einer Gabel gegen Glas. »Rede, Rede«, rief jemand, »Ruhe«, rief ein anderer, und einer nach dem anderen verstummte. Ein Stuhl schurrte über den Boden, alle sahen dorthin, auch sie, und da stand Leon.
»Meine Damen und Herren«, rief er, sah dabei aber nur sie an, »als Bruder des verstorbenen Martin von Bernitt, dem Hausherrn, möchte ich Sie heute hier willkommen heißen. Wir wollen alle die Leistung würdigen, die meine Schwägerin Jill hier erbracht hat …«
»Hör sofort auf«, sagte sie, nicht laut, es war ruhig genug im Zelt, dass er es auch so verstand. »Du bist nicht eingeladen, du hast hier nichts zu suchen.« Alle Blicke flogen zu ihr.
»Oh, liebe Jill, du weißt, dass das nicht stimmt, nicht wahr?« Seine Stimme hatte diesen seidigen Klang, den manche Menschen anschlagen, bevor sie zum tödlichen Stoß ausholen. »Denn ein Teil dieser Farm gehört mir, und das weißt du. Dein Urururgroßvater hat das Land von meinem gestohlen, und ich bin hier, um es wieder in Besitz zu nehmen.« Die letzten Worte musste er schreien.
Er wurde von lauten Rufen und Fragen der anderen unterbrochen. Neil bahnte sich seinen Weg zu ihm, Marius und Alastair in seinem Kielwasser. Nils Rogge lehnte an der Wand, ein Glas in der Hand, und sah interessiert zu. Thandi hatte sich von Axel frei gemacht, und Jill fiel auf, dass sie mit großer Unruhe umherblickte, auf die Uhr sah, sogar an einer Stelle die Zeltplane beiseite schob und hinausspähte. Es war offensichtlich, dass sie jemanden erwartete. Aber wen?
Die Antwort war so nahe liegend, dass Jill einige Zeit brauchte, ehe sie darauf kam. Popi. Es musste so sein. Er war in der Nähe, mit Sicherheit wusste er von dieser Einweihung, Berichte darüber hatten in mehreren Zeitungen, auch lokalen, gestanden, sogar das lokale Fernsehen hatte sie erwähnt. Ihr wurde eiskalt, als sie sich darüber klar wurde, was in der nächsten halben Stunde hier passieren könnte.
»… ich glaube, dass Johann Steinach Konstantin von Bernitt, meinen Urururgroßvater, ermordet hat«, hörte sie Leon brüllen, »ich werde …«
Dann erreichten ihn Neil und gleich darauf Alastair und Marius. Gemeinsam zogen sie ihn vom Stuhl herunter. Lorraine kreischte irgendetwas, Leon hatte sein Handy am Ohr, rief Unverständliches hinein, während ihn Marius und Alastair an den Armen packten und durch die Menge zerrten. Jill beobachtete die Szene, als wäre es ein Film, der vor ihr ablief und an dem sie vollkommen unbeteiligt war. Irma verschwand eben im Haus, und sie erriet, was sie vorhatte. Vermutlich würde sie gleich wieder auftauchen, das Gewehr im Anschlag und eine Mordswut im Bauch. Sie betete, dass sie sich irrte.
Unvermittelt durchschnitten raue Stimmen den Tumult im Zelt, und sie sah den Triumph auf Leons Gesicht. Im selben Moment erschienen Len Pienaar und zwei weitere Männer in Khakiuniformen. Sie mussten draußen gewartet haben. Unruhige Bewegung brach aus, als die drei Männer sich rücksichtslos ihren Weg pflügten. Die Menge der geladenen Gäste teilte sich vor ihnen wie die Wellen vor einem Schiffsbug. Ohne zu zögern, marschierte Len auf Leon zu.
Thandi fiel ihr auf, sofort. Sie stand ganz still, starrte Len Pienaar an. Ihr Gesicht war wie ein
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