Ein Land, das Himmel heißt
Wolkenberge. Das Gewitter war gewachsen, hatte Hügel und Himmel im Norden verschluckt, marschierte auf die Küste zu. Lina erschien mit einem Tablett mit einer Kanne, zwei Kaffeetassen und einem Teller mit Keksen. »Ich hab Annabel mit Lilly an den Strand geschickt, dann haben wir Ruhe. Zweijährige können verdammt anstrengend sein.«
Lilly war ein blond gelockter Wirbelwind mit den dunklen Kulleraugen ihrer Mutter, dessen Plappermäulchen nicht eine Sekunde still stand. »Schade, sie sind so süß, wenn sie anfangen zu reden.« Rechtzeitig bremste sie sich. Martin sollte es zuerst erfahren.
»Aber nicht nonstop. Ich kann mir einfach nicht leisten, durchs Examen zu rasseln.« Lina sog hektisch an einer Zigarette. »Hier, sieh nur, wie mich das mitnimmt. Ich hatte es mir schon abgewöhnt.« Nach ein paar Zügen warf sie die Zigarette ins Blumenbeet und schnellte hoch. »Wir trinken jetzt ein Glas Sekt, das ist gut für die Nerven, den Denkapparat und die Haut.« Mit den letzten Worten war sie schon losgelaufen.
»Ich nicht, danke«, rief Jill ihr nach, »Saft ist mir lieber.«
Lina drehte sich um, kam zurück. »Du trinkst das Zeug doch sonst wie Wasser. Bist du krank?«
»Nein, nicht direkt, ich will nur nicht.« Jill spürte zu ihrem heimlichen Ärger, dass sie rot wurde.
Lina kam näher, beugte sich zu ihr. »Jilly, was ist los?« Neugierig spähte sie ihr ins Gesicht. »Du kriegst doch nicht etwa ein Kind, oder?« Sie wartete gar nicht auf ihre Antwort, sondern warf den Kopf zurück und lachte los, dass Jill ihr Zäpfchen im Hals hüpfen sah. »Ich fass es nicht, du kriegst ein Kind! Ach, versuch gar nicht erst, es abzuleugnen – du strahlst doch wie eine Hundert-Watt-Birne. Also, raus mit der Sprache, wie weit bist du, wann kommt es, wie fühlst du dich, was sagt Martin dazu … Ach ja, und passt du noch ins Hochzeitskleid?« Sie glitt wieder in ihren Liegestuhl und ringelte sich zusammen wie ein zufriedene Katze, nippte an ihrem Kaffee.
Jill gab den Versuch auf, sich ihr Lächeln aus dem Gesicht zu wischen. »Sechzehnte Woche, Mitte Mai, ich fühle mich großartig, Martin weiß es noch nicht, und ich kündige dir die Freundschaft, wenn du es einer Menschenseele erzählst!«
»Ja, ja … Natürlich nicht. Nun brauche ich doch einen Sekt.« Mit Sektkübel, Orangensaft und zwei Gläsern kehrte Lina kurz darauf zurück. »Was passiert jetzt mit deiner Stellung, du wolltest doch im Januar anfangen?«, fragte sie und goss Jill dabei Saft ein.
Jill nickte, trank einen Schluck. Im September hatte sie ihr Biologiestudium mit dem Schwerpunkt Vogelkunde abgeschlossen, mit Freuden die Studentenbude in Pietermaritzburg aufgegeben und war endlich auf die Farm heimgekehrt. Im Januar sollte sie als Vogelkundlerin beim Natal Parks Board, der Naturschutzbehörde Natals, anfangen. »Ich werde absagen. Die Stelle war ohnehin lausig bezahlt. Glücklicherweise bin ich ja darauf nicht angewiesen.« Sie warf einem Maina, einem Hirtenstar, der sich vorsichtig mit gierig glitzernden Äuglein dem Keksteller näherte, einen zerkrümelten Keks zu. Zwei blitzschnelle Hüpfer, und der Maina flatterte mit seiner Beute im Schnabel auf die nächste Palme. Kurz darauf landete er wieder, diesmal viel näher, tschilpte eine schrille Aufforderung. »Ich werde mir einen Traum erfüllen«, sie warf dem hartnäckigen Vogel noch einen Keks zu, »und unterhalb meines Bungalows einen Garten anlegen, der Vögel besonders anzieht. Ich werde Bäume, Büsche und Stauden anpflanzen, die spezifisch für die jeweilige Vogelart sind, mit einem großen Teich und überhängen Palmen für die Webervögel, Aloen für die Nektarvögel, einer Lehmwand, dass Eisvögel dort ihre Niströhre bauen können …« Sie brach ab, sah ihren Garten bereits in voller Blüte, umschwirrt von Dutzenden von Vögeln.
»Klingt toll, aber was dann? So ein Garten braucht nicht ewig, und du hast genug Sklaven, die für dich schuften. Mutierst du dann zum brütenden Muttertier mit Windelhorizont?«, spottete Lina.
»So schlimm finde ich die Vorstellung nicht«, kicherte Jill, »aber ich werde auch noch ein Buch über das Projekt schreiben und mit meinen eigenen Fotos bebildern. Wie findest du den Titel ›Garten der Vögel‹? Außerdem werde ich versuchen, beim Parks Board als freie Mitarbeiterin anzufangen.«
Sichtlich beeindruckt leerte ihre Freundin das vierte Glas Sekt.
Eine Stunde später, die Sonne stand schon schräg über den Hügeln, die den Küstenstreifen zum
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