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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Inland und den kalten Winden der Drakensberge abschirmte, verabschiedete Jill sich. »Ich ruf dich sofort an, wenn ich es Martin erzählt habe.« Dann holte sie Martin auf der nahe gelegenen Baustelle ab. Er war schweigsam, in sich gekehrt, antwortete auf ihre Frage nach dem Erfolg der Verhandlung so einsilbig, dass sie bald aufgab. Etwas enttäuscht verschob sie auch die Ankündigung ihrer großen Neuigkeit auf die Zeit nach dem Abendessen, wenn sie sich zu zweit allein auf ihre Veranda zurückzogen.
    Kurz vor sechs, eine Dreiviertelstunde vor Sonnenuntergang, erreichten sie die Farm. Das Gewitter hatte aufs Übelste gewütet. Ein alter Marulabaum lag, vom Blitz gespalten, am Boden, Äste und abgerissene Blätter übersäten den Hof, große Pfützen glänzten auf dem Pflaster, wo das Erdreich die Wassermassen nicht schnell genug aufnehmen konnte. Mittendrin stand Nelly, die Arme verschränkt, das Kinn gehoben, und starrte sie nur düster an.
    »Wenn du nicht aufpasst, Nelly, wirst du noch als Hexe verbrannt«, neckte Jill gedankenlos, ehe ihr siedend heiß einfiel, was erst kürzlich passiert war. Ein Mann war vom Blitz erschlagen worden. Seine Frau zeigte mit dem Finger auf eine andere, jüngere, schönere, auf die der Mann sein begehrliches Auge geworfen hatte, und bezichtigte sie der Hexerei. Dann warf sie den ersten Stein. Die junge Frau starb im Steinhagel, ihre Familie wurde in ihrer Hütte zusammengetrieben, das Strohgeflecht in Brand gesetzt. In letzter Sekunde rettete sie die Polizei und brachte sie in ein abgelegenes Dorf, das für Menschen eingerichtet worden war, die der Hexenverfolgung entkommen konnten. Vollkommen abgeschnitten von ihren Verwandten, von denen sie keiner besuchen durfte, um nicht selbst in den Verdacht der Hexerei zu geraten, fristeten sie ein jämmerliches Dasein. Ihre Felder verkamen, ihre Hütten in ihrem Dorf verfielen. So verloren sie jeden Halt im Leben und starben meist schnell.
    Entschuldigend legte Jill ihre Hand flüchtig auf Nellys Arm und lief über den gepflasterten Weg zu ihrem Bungalow. Sie duschte, wusch sich die Haare, um endlich diesen stechenden Trangestank vom Sezierraum aus der Nase zu bekommen, und zog ein kurzes weißes Baumwollkleid an. Kritisch betrachtete sie ihre Figur von der Seite, strich das Kleid glatt. Nun, vielleicht war ganz unten ein klitzekleiner Bauchansatz zu erkennen, aber nicht einmal der Schneider hatte sich beklagt, dass ihre Figur sich verändert hätte. Zufrieden schlenderte sie hinüber ins Haupthaus. Martin war nirgendwo zu sehen. Vielleicht ging er ein wenig spazieren oder war auf der Suche nach ihrem Vater. Die beiden verstanden sich gut. Im Wohnzimmer wählte sie ihre Lieblingsmusikkassette aus, legte sie ein und trat hinaus auf die Terrasse. Sie goss sich einen Guavensaft aus den Flaschen ein, die Nelly bereitgestellt hatte.
    Sie trat ans Geländer, an dem mehrere Tonkübel mit schneeweiß blühenden Gardenien standen. In zwei Wochen würde sie verheiratet sein, und eine federleichte Bewegung rechts oberhalb der Leistenbeuge erinnerte sie, dass sie nächstes Jahr um diese Zeit schon zu dritt sein würden. Zu ihren Füßen lag die Farm, die sich heute über rund 4800 Hektar erstreckte. Ihr Blick flog im Rund über Palmenwipfel, weites Grasland mit seinen Inseln von undurchdringlichem Busch und Schirmakazien zu den blau schimmernden Hügeln Zululands. Im Osten färbte ein Hauch von Abendröte die Dunstwolken über dem fernen Meer. Seit Jahrhunderten, lange bevor dieses Haus gebaut worden war, hatten die, die von hier aus über die Landschaft blickten, das gesehen, was sie jetzt sah. Manchmal war sie sich in solchen Momenten ihrer Wirklichkeit nicht sicher, verschwammen die Grenzen der Zeit, und die andere Welt, die hinter diesen Hügeln lag, hörte auf, für sie zu existieren.
    Sie schaute über den sanften Abhang unterhalb der Terrasse. Kurz vorher hatte es einen starken Schauer gegeben, die sinkende Sonne funkelte in jedem Regentropfen, legte ein kostbar glitzerndes Netz über das Land. Üppiges Grün fiel in weichen Wellen zum Wasserloch ab, einer Ausbuchtung des schmalen Nebenarms des Krokodilflusses. Am sandigen Ufer, zwischen wogendem Riedgras und Palmenwedeln, tranken zahlreiche Springböcke, die der Herde angehörten, die ihr Vater hier angesiedelt hatte. Silberreiher lärmten in ihrem Nistbaum, im Wasser glänzten die braunen Rücken zweier Flusspferde. Aus dem schattigen Gebüsch, das den schmalen Weg unterhalb des Abhangs

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