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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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Pavianherde tobte schreiend durch die Akazienkronen, Vögel flogen auf, selbst drei Geier, die oben auf einem Baum hockten, sich friedlich in der Sonne ihr Gefieder putzten, erhoben sich mit langsamem Flügelschlag in die Luft und schraubten sich höher, wohl um besser sehen zu können.
    »Es sind die Paviane«, rief sie und deutete den Hang hinab, »sieh mal.« Dumpfes Trommeln drang an ihr Ohr, mit gerecktem Hals versuchte sie herauszufinden, wo es herrührte. Dann erkannte sie den Rhythmus. »Oskar, verdammt, das blöde Nashorn ist wieder ausgebrochen. Er kommt angaloppiert.« Sie war schon den halben Weg über die Terrasse. »Ich muss Philani und Musa Bescheid sagen. Sie müssen ihn wieder zurücktreiben, und dieses Mal, das verspreche ich euch, geht er ins Exil nach Hluhluwe.«
    Erst als sie zu den Ställen lief, wo sie Philani vermutete, drängte es sich in ihr Bewusstsein, dass Oskar nicht nur sein Gehege, sondern auch den hohen Zaun, der das Haus schützte, durchbrochen haben musste, und das war völlig ausgeschlossen. Sie blieb stehen, ganz still. Es gab nur eine Erklärung. Irgendwo da unten hatte jemand ein Loch in den Zaun geschnitten. Mit Überlegungen, wer derjenige war und warum er das gemacht hatte, wenn die Angreifer gestern doch offenbar im Besitz der Torschlüssel gewesen waren, hielt sie sich nicht auf. Darüber konnte sie später nachdenken. »Musa«, schrie sie, »Philani, kommt her. Dabu, wo seid ihr?«
    Ihr fiel ein, dass Dabu wohl nicht im Stande war, zu arbeiten, aber alle drei Männer wetzten im Laufschritt aus den Ställen auf sie zu. Philani stülpte sich im Rennen seinen Sonnenschutzhut auf, Dabulamanzi war an mehreren Stellen verpflastert, beide Augen waren blutunterlaufen und geschwollen. »Oskar ist im Anmarsch«, rief sie, »holt euch die Leute, die die Überreste vom Bungalow wegräumen, und treibt ihn wieder zurück. Irgendwo muss ein Loch im Zaun sein. Ich ruf jemanden an, der es repariert.« Sie ging zurück auf die Terrasse, um die Gäste vor dieser neuen Gefahr zu warnen. Zu ihrer Verblüffung fand sie alle am Geländer stehend, Ferngläser an den Augen, Kameras im Anschlag. Einige nippten noch an ihrem Champagnerglas und verfolgten höchst interessiert, wie die Männer versuchten, Oskar zu bändigen, der sich vehement wehrte. Er schlug Haken, schleuderte einen der Treiber, der ihn mit einem Lasso eingefangen hatte, wie eine Puppe durch die Luft, brach unaufhaltsam wie eine Lokomotive durchs Unterholz und raste in vollem Galopp aufs Haus zu. Ab und zu wurde sein mächtiger grauer Körper sichtbar, hörte man sein Schnauben, das ständig näher kam.
    Gelächter lief über die Terrasse, als sich mehrere der Treiber nur mit einem Sprung auf den nächsten Baum retten konnten. Kein Zweifel, ihre Gäste schienen die Aufregung der gestrigen Nacht nicht nur sehr gut weggesteckt zu haben, sie schienen sich auch jetzt königlich zu amüsieren. »Ich glaub, ich pack mal wieder aus, ist ja nicht das erste Mal, dass uns die Kugeln um die Ohren pfeifen, was, Lizzie?«, sagte einer von ihnen, und die Frau in seiner Begleitung nickte. »Außerdem können wir uns ja wehren«, fuhr er fort, schlug sich auf die Hüfte, wo ein Gegenstand seine Hose ausbeulte, und lachte dröhnend. Sein breiter Brustkorb war ein guter Resonanzboden.
    »Zweimal hintereinander schlägt kein Blitz in denselben Baum«, stimmte Lizzie mit weisem Kopfnicken zu, während sie weiter den wutentbrannten Oskar durchs Fernglas betrachtete.
    Jill schickte ein Dankgebet gen Himmel, dass ihre Landsleute so hartgesotten waren, sich nicht von den Vorkommnissen der letzten Nacht ins Bockshorn jagen zu lassen. Es kreiste immer noch genügend Pionierblut in ihren Adern. Würden die Gäste jetzt wegbleiben, müsste sie aufgeben. Sie würde Inqaba verlieren.
    »Denk an Catherine le Roux«, hörte Jill die befehlsgewohnte Stimme ihrer Großmutter Steinach aus der Vergangenheit, »sie hat nie aufgegeben, sich nicht vertreiben lassen. Sie hat ausgeharrt, sonst wären wir Steinachs heute nicht hier.«
    Jill war überrascht, denn sie hatte seit Jahren nicht mehr an ihre Großmutter gedacht. Dorothea Steinach, im Gegensatz zu ihrer Tochter Carlotta grobknochig und schwergewichtig, ritt auch im hohen Alter noch regelmäßig allein durch den Busch, bereicherte häufig ihren Tisch mit Antilopenbraten. Furchtlos legte sie sich sogar mit einer wütenden Leopardin an und gewann. Das Fell der Leopardin zierte fortan eine Wand im Geschichtenzimmer.

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