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Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
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halte nicht an roten Ampeln«, riet Neil. Die Besorgnis in seinen Zügen war deutlich. »Hast du eine Waffe?« Er beugte sich durch die offene Tür.
    »Ich weiß nicht, kann sein.« Sie öffnete das Handschuhfach, wühlte darin herum. »Eine Nagelfeile«, sie hielt sie hoch, »Streichhölzer, ein paar Zahnstocher – nein, Martin oder Daddy müssen die Pistole herausgenommen haben. Macht auch nichts, ich brauch keine Waffe. Ich bin doch eine weiße Zulu.« Sie lächelte ihn an.
    »›Weiß‹ ist das Stichwort«, murmelte er, als er zögernd vom Wagen zurücktrat. »Ich rufe auf jeden Fall auf Inqaba an und gebe Bescheid, dass du losgefahren bist.«
    »Danke«, rief sie und drückte die Zentralverriegelung, vergewisserte sich, dass alle Fenster geschlossen waren. Hupend fädelte sie sich in den dichten Verkehr auf der Marine Parade ein. Es wehte kaum Wind, die Wolken hingen tief, verhinderten, dass die aufgeheizte Luft des Tages aufstieg und abkühlte. Sie schalte die Klimaanlage ein. Ein ofenheißer Luftstrom traf ihr Gesicht und bewirkte einen sofortigen Schweißausbruch. Ungeduldig wartete sie, bis die Kühlung einsetzte.
    Zehn Minuten später bog sie auf den North Coast Highway ein, fummelte ärgerlich an den Knöpfen der Klimaanlage, die noch immer Heißluft verströmte, stellte sie hoch und wieder niedrig, aber nichts passierte. Keine fünf Minuten später war die Atmosphäre im Auto schlimmer als in einer überhitzten Sauna. Der Schweiß tropfte ihr aus den Haaren, brannte in den Augen, trübte ihre Sicht. Sie ließ das Fenster auf ihrer Seite zur Hälfte herunter, kontrollierte noch einmal, ob alle Türen verschlossen waren. Der Highway war jetzt, um neun Uhr, mäßig belebt, und je weiter sie sich von der Stadt entfernte, desto dünner wurde der Verkehr. Als sie nach fünfzehn Kilometern auch den Küstenort Umhlanga Rocks hinter sich ließ, die Straße landeinwärts verlief, sah sie nur weit hinter sich ein Paar Lichter im Rückspiegel, vor sich nichts als sternenlose Schwärze. Ihre Scheinwerfer huschten über Büsche, Bäume, gespenstisch bläulich grüne Zuckerrohrfelder, öde Eukalyptusplantagen, ab und zu glühten die Augen eines Tieres auf. Traf sie auf Grüppchen von Zulus, die am Straßenrand entlangwanderten, verschloss sie ihr Fenster sofort.
    Im Lichtkegel drehten sich die Schwarzen ihr zu, und automatisch hob sie eine Hand, um ihnen zuzuwinken, wie sie es immer tat. Aber keiner von ihnen winkte heute zurück. Sekundenlang blickte sie in die ausdruckslosen Gesichter im Rückspiegel, dann war sie wieder allein in der Dunkelheit. Sie verbannte das ungute Gefühl, das in ihr hochkroch. Wie sollten sie auch sehen können, dass sie ihnen winkte? Es war zu dunkel. Das war sicher der Grund.
    Kurz hinter Empangeni bog sie ab, und die Straße wurde schlagartig schlechter. Die bröckelige Asphaltoberfläche war mit tiefen Löchern durchzogen, die sie zwangen, in Schlangenlinien zu fahren. An den Straßenseiten huschten kleine Zulu-Hofstätten vorbei, Rundhütten, manche mit Ried gedeckt, andere mit Wellblech, Kühe glotzten geblendet ins Licht. Immer wieder standen Gruppen von Schwarzen am Straßenrand, saßen zusammen, tranken, tanzten grölend zu dem Transistorradio am Ohr. Einer sprang vor ihr Auto, schüttelte seine Faust, wich erst in letzter Sekunde aus. Ihre Hände rutschten vor Schreck auf dem Steuerrad, sie schwitzte vor Angst. Wütend auf sich selbst, wischte sie sie an ihrem Rock ab und öffnete trotzig ihr Fenster eine Handbreit. Die würden sie nicht einschüchtern.
    Ein blaues Flackern im Rückspiegel zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie schaute genauer hin. Ein Polizeiauto, ganz offensichtlich. Erleichtert lenkte sie scharf links and den Straßenrand, fuhr langsamer, um das Fahrzeug passieren zu lassen. Der weiße BMW zog mit hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei, schwenkte schräg vor ihren Kühler und bremste mit kreischenden Reifen. Es blieb ihr keine Zeit, sich zu wundern, es gelang ihr gerade noch, die Bremse durchzutreten, das Steuerrad festzuhalten und ihren Kopf gegen das Polster zu pressen, um ein Schleudertrauma zu vermeiden. Sie schlitterte haarscharf an dem Polizeiwagen vorbei auf den unbefestigten Seitenstreifen, riss ihr Auto herum, der Motor heulte auf, die Räder bekamen endlich Halt auf dem Asphalt, und dann stand sie wieder in Fahrtrichtung. Sie rang nach Luft, ihr rasendes Herz verschlang Sauerstoff, ihr Mund war staubtrocken. Als jemand gewaltsam an ihrer Tür rüttelte,

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