Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
anderen. Die vorderste Verfolgerin war Nelly, das erkannte sie an ihrer Figur und der stampfenden Art zu laufen, die Fliehende war Thoko. Ihre lange Zöpfchenfrisur flatterte wie ein Banner hinter ihr her. Wann immer Nelly nahe genug an sie herankam, schlug sie auf sie ein. Dann schrillte wieder dieser markerschütternde Schrei durch die klare Luft.
    Plötzlich wurden die Sonne von dem Gegenstand reflektiert, der in Nellys Hand wie eine kurze Keule aussah, es gab einen ganz kurzen Lichtblitz, als sei ein Silvesterknaller explodiert. Jetzt bekam Jill mit, was sich dort wirklich abspielte. »Oh, verflucht«, entfuhr es ihr unwillkürlich. Aufgeregt stürzte sie ins Haus. »Daddy, Harry, wo seid ihr?« Doch sie traf nur auf ihre Mutter, die eben aus der Gästetoilette kam. »Wo sind Daddy und Harry?«
    »Keine Ahnung, was ist los?«
    »Nelly ist mit einer abgebrochenen Flasche hinter Thoko her und versucht, sie in kleine Scheiben zu schneiden!«
    »Dieses verdammte alte Weib«, fauchte ihre Mutter, »ich hab ihr gesagt, wenn sie noch einmal mit einer Flasche auf jemanden losgeht, hole ich die Polizei und lass sie ins Gefängnis stecken.« Mit wenigen Schritten war sie im Zimmer ihres Mannes und am Funkgerät, das an der Wand über dem Schreibtisch hing. Sie hakte das Mikrofon aus und sprach schnell hinein. »Phil? Bist du das? Hör zu …« Dann erklärte sie ihm mit kurzen Worten, was vor sich ging. Sie hakte das Mikrofon wieder ein und warf die Tür hinter sich ins Schloss. »Dad ist mit Harry auf den Ananasfeldern. Er kümmert sich sofort darum.«
    »Wird er die Polizei holen?«
    »Es würde ihr recht geschehen! Ich habe wirklich die Nase gestrichen voll. Du erinnerst dich, dass wir Nelly vor einem Jahr den alten Fernseher zu Weihnachten geschenkt und eine Stromleitung zu den Hütten gelegt haben? Nun, kürzlich fanden wir eine der Pflückerinnen mit aufgeschlitzem Arm und fast verblutet im Gebüsch neben dem Ananasfeld liegen. Jeder wusste, dass es Nelly gewesen war, die sie mit einer abgebrochenen Flasche bearbeitet und dabei ihre Schlagader verletzt hatte, aber keiner machte den Mund auf. Die arme Frau hatte es gewagt, heimlich den Fernseher anzudrehen. Alle anderen müssen nämlich eine beachtliche Summe als Eintritt zahlen, wenn sie etwas sehen wollen. Nelly muss ein Vermögen dabei verdienen. Wenn sie ins Gefängnis gekommen wäre, hätten die anderen auf ihre Kinoabende am Wochenende verzichten müssen, also hat keiner etwas gesehen. Ich habe ein Gerücht gehört, dass die verletzte Frau als Kompensation jetzt gratis zusehen darf.« Wie ein nervöses Rennpferd rannte Carlotta im Wohnzimmer auf und ab. »Sie macht mich rasend! Wenn sie doch nur nicht so eine exzellente Bäckerin und Köchin wäre«, sie rang förmlich die Hände. »Ich sollte sie bei der Polizei abliefern und im Gefängnis schmoren lassen! Aber was soll ich nur ohne sie machen? Ich meine, wer kocht dann? Gar nicht zu reden vom Backen.«
    Jill nickte mitfühlend. Ihr erschien diese Frage überhaupt nicht merkwürdig oder lachhaft. Das war ein schwerwiegendes Problem. »Zieh ihr die Krankenhauskosten für Thoko vom Lohn ab …«
    »Sowieso«, murmelte ihre Mutter.
    »… und streiche ihr das Weihnachtsgeld.«
    »Das Mindeste«, pflichtete ihr Carlotta bei.
    Thoko wurde, schreiend, aus klaffenden Wunden an Armen und Oberkörper blutend, von Harry umgehend ins Krankenhaus gefahren. Später erfuhren sie, dass die Wunden glücklicherweise nur oberflächlich waren. Phillip rief sofort die Polizei. Carlotta legte ihren Finger auf die Telefongabel und bat ihn, Nelly anderweitig zu bestrafen. Hartnäckig redete sie mit sanfter Stimme auf ihn ein.
    »Kommt nicht in Frage, jetzt ist das Maß voll«, hörte Jill ihren Vater, »dann besorgst du dir eben eine neue Köchin.« Damit wählte er, erklärte kurz die Lage und lauschte einen Moment mit offenem Mund, versuchte vergeblich, den Mann am anderen Ende zu unterbrechen. Mit einem unterdrückten Fluch unterbrach er die Verbindung und warf den Hörer auf die Gabel.
    »Wann kommen sie?«, fragte Jill.
    Ihr Vater schnaubte wütend. »Die junge Frau, Sir, ist sie tot?«, äffte er seinen Gesprächspartner nach, »Sir« sprach er »Sah« aus. Jill schloss daraus, dass der Mann am anderen Ende der Leitung ein Inder gewesen sein musste. »Nein, nicht tot?«, fuhr Phillip im übertriebenen Singsang fort, »scheint alles nicht so schlimm zu sein, was, Sah? Dann wird’s nichts ausmachen, wenn ich nicht komme. Es

Weitere Kostenlose Bücher