Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Land, das Himmel heißt

Ein Land, das Himmel heißt

Titel: Ein Land, das Himmel heißt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Gercke
Vom Netzwerk:
jüngsten Tochter eines der anderen Arbeiter, eingenommen, und der Haushalt lief wieder reibungslos. Thoko stakste auf ihren Plateausohlen von der Farm und verschwand im Bauch der großen Stadt.
    *
    Die Möbel für ihr neues Haus ließen sie sich aus Kapstadt kommen. »Die Auswahl ist dort größer und besser«, erklärte Jill ihrer Freundin Lina bei einem Bummel durch die La Lucia Mall, einem Einkaufszentrum, das auf dem Weg nach Durban in den Hügeln oberhalb des North Coast Highways lag.
    »Und teurer«, ergänzte Lina und streichelte verlangend über die goldglänzende Oberfläche eines Tisches aus Kiaat, dem südafrikanischen Teak. Sie seufzte.
    Jill hatte sich ein Geschirr aus Italien ausgesucht und schrieb dem Ladenbesitzer ihre Adresse für die Lieferung auf. »Sag mal, solltest du nicht Partner in Dr. Websters Praxis werden? Schließlich arbeitest du doch schon zwei Jahre für ihn.«
    Lina stieß ein bitteres Lachen aus. »Sollte ich, ja, aber nun hat er zwei neue Zahnärzte eingestellt, beides Inder, die weniger verlangen und nicht auf eine Partnerschaft dringen. Die werden mich wohl überflüssig machen.«
    Jill sah ihre Freundin prüfend an. »Das klingt ernst. Ich lade dich zu Cappuccino und Sahnetorte ein, dann können wir reden.«
    »Es ist überall das Gleiche«, berichtete Lina, als sie im Café im ersten Stock Platz nahmen, »einer Freundin von mir, eine Radiologin, ist gerade gekündigt worden. Sie ist durch zwei Inderinnen ersetzt worden, die die Hälfte ihres Gehalts bekommen.« Sie hackte mit der Kuchengabel in ihre Torte. »So ist das in unserem Regenbogenland. Wir werden wohl unser Haus nicht halten können, wenn ich nicht in einer anderen Praxis unterkriechen kann.«
    »Aber Marius’ Job ist doch sicher?«
    »Natürlich, aber weißt du, wie viel ein Assistenzarzt verdient?« Lina schob die Tortenstücke hin und her. Gegessen hatte sie noch nichts. Plötzlich warf sie die Gabel hin. »Ich kann es dir auch gleich sagen, wir gehen nach England. Es ist unsere einzige Chance. Hier gibt es keine Zukunft für uns.«
    »Lina, ihr geht weg? Für immer?« Jill fühlte einen Stich bei der Aussicht, Lina und Marius zu verlieren. »Wann habt ihr das entschieden? Gibt es denn gar keine andere Möglichkeit?«
    Ihre Freundin schüttelte stumm den Kopf, vergrub ihr Gesicht in den Händen. Tränen quollen zwischen ihren Fingern hervor. »Ich weiß nicht, wie ich das machen soll, das Land verlassen, meine Freunde und die Familie zurücklassen«, weinte sie, »nicht einmal den Gedanken daran kann ich ertragen. Ich bin nur einmal in Europa gewesen, aber das war mitten im Hochsommer. Die niedrigste Temperatur, die ich bisher erlebt habe, waren fünf Grad plus. Das war in den Drakensbergen. Ich hab mich gefühlt, als würde ich in einem Eisschrank leben, und war überzeugt, dass ich nie wieder warm werden würde.«
    Jill konnte sich nicht helfen. Sie musste lachen. »Im Winter wird es in England noch viel kälter. Ich habe einmal im Winter Mamas Familie im Bayerischen Wald besucht. Steck deinen Kopf in die Tiefkühltruhe, dann bekommst du eine Vorstellung davon, welche Kälte dort herrscht. Aber, keine Sorge, es gibt Zentralheizung.«
    »Tiefkühltruhe …« Ein Ausdruck puren Entsetzens stand in Linas dunklen Augen. »Und dann kein Licht! Die Sonne verschwindet da für Monate, und dann herrscht ewige Nacht.« Mit dem Handballen wischte sie sich die Nässe aus dem Gesicht.
    »Quatsch, du willst doch nicht am Polarkreis leben.«
    »Nein, nein, natürlich nicht.« Der Kuchen war nur noch ein Krümelhaufen. Lina rührte darin herum. »Ich will hier bleiben, mehr als alles andere, aber es geht wohl nicht. Wir haben hier keine Zukunft mehr. Südafrika hat keine Zukunft mehr.«
    »Ihr dürft nicht gehen. Unser Land wird ausbluten, es wird sterben, weil solche Leute wie ihr weggehen«, sagte Jill, »das könnt ihr doch nicht zulassen. Ihr werdet hier gebraucht.« Sie konnte den Vorwurf nicht aus ihrem Ton verbannen.
    »Stell dir dein Leben in fünf Jahren hier einmal vor. Sieh dir doch den Rest von Afrika an. Kriege, Kriminalität, Aids, der ganze Kontinent versinkt im Blut. Hast du nie Angst bei euch draußen auf der Farm? Keine Nacht würde ich freiwillig allein dort bleiben. Reitest du immer noch stundenlang allein über euer Land?«
    Jill lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, kehrte ihren Blick nach innen, versuchte zu verstehen, was sie wirklich dachte. Hatte sie Angst? Hatte sie Angst gehabt, als Roly vergiftet

Weitere Kostenlose Bücher