Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition)

Titel: Ein letzter Besuch: Begegnungen mit der Weltmacht China (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Schmidt
Vom Netzwerk:
den Beitritt, aber de Gaulle lehnte ihn ab, und das war in Ordnung. Dann nahmen wir in den siebziger Jahren drei Länder auf, Großbritannien, Irland und Dänemark, ohne zu erkennen, dass die Briten nur einen Fuß in der Tür haben wollten, dass sie aber gar nicht richtig mitmachen wollten. Im Jahrzehnt darauf kamen Portugal, Spanien und Griechenland hinzu. So wurden wir zwölf. Die letzten drei Länder, Portugal, Spanien und Griechenland, wurden willkommen geheißen, weil sie gerade aus eigener Kraft faschistische Diktaturen überwunden hatten und nun durch die Aufnahme in die Gemeinschaft belohnt werden sollten.
    Zur Zeit der Maastrichter Konferenz Anfang der neunziger Jahre gab es also zwölf Mitglieder – eine handhabbare Größe –, aber wir begingen trotzdem einige schwere Fehler. Einer der Fehler, die in Maastricht gemacht wurden, bestand darin, jeden zum Beitritt aufzufordern, was in den nächsten zehn Jahren zu einer Vergrößerung von zwölf auf 27 Mitglieder führte – was mehr als eine Verdoppelung darstellte. Das war nicht mehr handhabbar. Manche traten bei, weil die Gemeinschaft im Geld schwamm und sie sich einen beachtlichen Teil davon versprachen. Andere glaubten, sie könnten jetzt zum ersten Mal eine Weltrolle spielen. Manche Franzosen und auch manche Deutsche denken dies immer noch. Es gibt aber auch immer noch die Hoffnung, dass wir im Laufe des 21. Jahrhunderts, nach sechzig Jahren des Aufbaus dieser Union, nicht scheitern werden. Aber ich bin mir da nicht mehr so sicher.
    LEE Die EU ist zu groß – zu groß und zu disparat. Zu unterschiedlich sind sowohl die wirtschaftlichen Entwicklungsstufen der einzelnen Mitgliedsstaaten als auch die Vorstellungen von der Zukunft der Gemeinschaft. Viele sind nur beigetreten, weil sie in den Genuss der finanziellen Vorteile der Union kommen wollten.
    MATTHIAS NASS Aber sollte man nicht gerechterweise sagen, dass die Union trotz aller Fehler und Mängel, historisch gesehen, eine große Leistung darstellt und ein Vorbild für andere Regionen in der Welt ist?
    LEE Nein. Ich betrachte die Europäische Union nicht als Vorbild für die Welt. Ich betrachte sie als ein Unternehmen, das durch eine zu schnelle Vergrößerung in Schieflage geraten ist und wahrscheinlich scheitern wird.
    MATTHIAS NASS Es gibt also nichts, was Asien von der europäischen Integration lernen kann?
    LEE Wir können uns eindeutig nicht auf die gleiche Weise vereinigen. Wir sind nicht alle Christen, wir sprechen verschiedene Sprachen und haben jeder eine andere Geschichte. Was wir erreichen können, ist, ein wachsendes Gespür für unsere gemeinsamen Interessen zu entwickeln, Freihandelszonen zu schaffen und schrittweise darauf aufzubauen. In Asien dreht sich alles um die Dominanz Chinas. Wenn Asiaten von asiatischer Solidarität sprechen, schließt das China ein. In Europa spricht man neuerdings von chinesischer Solidarität mit der übrigen Welt.
    MATTHIAS NASS Dann ist also freier Handel das Äußerste, was man in Asien erreichen kann?
    LEE Freier Handel und ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Wir kämpfen nicht gegeneinander, sondern legen Differenzen bei. Wir treffen uns regelmäßig, diskutieren miteinander und bedrohen uns nicht gegenseitig.
    M ATTHIAS NASS Dann die Frage an Helmut Schmidt. Die Geschichte der Europäischen Union ist eine Geschichte von Niederlagen, Rückschlägen, Krisen, aber natürlich auch Erfolgen. Kann die gegenwärtige Krise uns der politischen Vereinigung nicht einen großen Schritt näherbringen? Und welche Rolle könnten die Deutschen dabei spielen?
    SCHMIDT Theoretisch gesprochen, könnten Sie recht haben. In der Praxis aber braucht man Leitfiguren. Was die Rolle der Deutschen angeht, bin ich skeptisch …
    LEE Deutschland ist von zwei Weltkriegen belastet und hat das Schuldgefühl nicht abgeschüttelt. Es will nicht als dominant erscheinen, aber es ist das einzige Land in Europa, das die Kraft besitzt, ein Kerneuropa zu schaffen. Die Ansicht, dass Frankreich auf gleicher Stufe mit Deutschland steht, ist eine Wunschvorstellung. Ich weiß nicht, was die Europäer denken, aber außerhalb Europas glaubt dies niemand. Sarkozy kann Merkel treffen, er kann sie auch übertönen, aber sein Frankreich kann Deutschland nicht übertreffen. Das ist der Eindruck, den die Welt hat.
    SCHMIDT Das ist ein neu entstandener Eindruck, den es in den neunziger Jahren so nicht gab. Er ist erst in den Jahren nach 2000 entstanden. 1989/90 und 1991, als Deutschland und Europa

Weitere Kostenlose Bücher