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Ein Lied über der Stadt

Ein Lied über der Stadt

Titel: Ein Lied über der Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ewald Arenz
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Wind und die Gerüche des Sommers. Durch dieses grüne Tal, das sie seit ihrer Kindheit kannte. Es war schwer zu glauben, dass jetzt, in diesem Augenblick, Papa in einer Hütte saß oder in einem Steinbruch arbeiten musste. Dass er nicht singen durfte, was er wollte. Dass er nicht einfach über Land gehen konnte, wie er es manchmal tat. Dass er … dass er vielleicht geschlagen wurde. Luise wollte sich das nicht vorstellen.
    »Ihm wird nichts geschehen«, versicherte Georg ihr noch einmal, als hätte er gemerkt, woran sie eben dachte. »Sie trauen sich das nicht. Pfarrer bringen sie nicht um.«
    »Dein Wort in Gottes Ohr«, flüsterte Luise fast für sich, und sie hätte etwas darum gegeben, daran glauben zu können.

    Sie sprachen wenig, während sie schnell vorankamen, und erst, als sie dann durch Hochstatt fuhren und der Aufstieg begann, fing Luise an zu verstehen, warum Georg sie mitgenommen hatte. Sie war seit Wochen kaum aus dem Haus gekommen, und es tat ihr gut, sich im offenen Land zu bewegen. Wenn sie Besorgungen zu erledigen hatte, vermieden die Menschen den Kontakt, als hätte sie eine Krankheit. Man bewegte sich wie in einer Blase des Schweigens. Deshalb tat es ihr gut, mit Georg unterwegs zu sein, der auf ihrer Seite war.
    Sie waren jetzt beide aus den Sätteln und traten mit aller Kraft in die Pedale, aber das letzte Drittel der Straße war so steil, dass Georg mit einem Schwung abstieg.
    »Ich schaffe es nicht!«, keuchte er mit einem kleinen Lachen.
    Auch Luise stieg außer Atem ab und schob. »Den habe ich auch noch nie geschafft«, beruhigte sie Georg.
    »Gott sei Dank«, erwiderte er spöttisch, »sonst wäre ich jetzt blöd dagestanden.«
    »Du stehst ja fast«, sagte Luise, die sich Mühe gab, ihr Fahrrad ein wenig schneller als er bergan zu schieben. Georg ließ sich das nicht gefallen, und so kamen sie völlig verschwitzt oben an.
    »Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte sie, als sie wieder aufstiegen und Georg in den Feldweg abbog, der sie aus dem Dorf gleich wieder über die Felder in Richtung Wald führte.
    »Ich will dir was zeigen«, antwortete er, »komm.«

    Sie fuhren noch etwa zwei Kilometer über Feldwege, ein kurzes Stück durch den Forst und kamen dann auf eine Ebene, die man eine Lichtung hätte nennen können, wenn sie nicht so weitläufig gewesen wäre, denn sie war an allen Seiten von Wald begrenzt. Eine Feldscheune lag ein Stück entfernt am Waldrand. Feld- und Waldweg kreuzten sich hier. Georg stieg ab und lehnte sein Rad an die Holzwand der Scheune. Luise folgte ihm neugierig.
    »Gehört die euch?«, fragte sie mit einer Kopfbewegung zum Tor, an dem Georg gerade ein Vorhängeschloss aufsperrte.
    Er schüttelte den Kopf. »Einem Onkel von mir. Der ist aber so alt, dass er sie nicht mehr nutzt, und er hat keine Kinder. Mein Vater wird sie eh erben.«
    Das Schloss war offen, und Georg zog die Torflügel auf.
    »Komm«, sagte er einfach und trat beiseite, als wolle er ihr den Vortritt lassen. Aber Luise war stehen geblieben, sobald Georg das Tor ganz geöffnet hatte. In der Scheune stand ihr Flugzeug.
    »Georg«, stammelte sie fast, »das ist … aber … das ist unser Flugzeug. Das ist wirklich unser Flugzeug!«
    Sie lief in die Scheune und um die Maschine herum. Es war wirklich ihre Maschine. Der Rumpf war repariert worden, die Flügel waren neu. Sie sah sofort nach dem Motor. Es war ein Siemens Sternmotor mit 5 Zylindern. Der kleinste zwar, vielleicht 70 PS, aber luftgekühlt und von Siemens. Sie wusste, was die kosteten.
    »Georg«, sagte sie immer noch fassungslos und völlig überwältigt, »wie … wo hast du den her? Und der Rumpf? Du hast den doch … der war doch völlig kaputt!«
    Georg, der auf einmal sehr verlegen wirkte, zuckte die Schultern. »Ich habe ja lange Zeit gehabt«, sagte er dann.
    »Bist du schon damit geflogen?«, fragte Luise, noch immer neben dem Motor stehend und ohne zu Georg hinüberzusehen. Der Motor war gebraucht, aber er sah gepflegt aus, wunderbar, I a.
    »Ich kann nicht fliegen«, antwortete Georg. Sie sah zu ihm hinüber. Er war sehr rot geworden. Seine Ohren glühten. »Ich dachte, du bringst es mir vielleicht bei.«

    Er hatte an alles gedacht. Erst als sie die Maschine zusammen aus der Scheune geschoben hatten, merkte sie, dass die Wiese gemäht war und am Rand in Abständen Steine aufgehäuft waren, die er wohl aus dem Feld herausgeklaubt haben musste. Es war ein kleines Flugfeld. Ein geschickter Flieger konnte hier starten, und er

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