Ein Lord entbrennt in Leidenschaft
andererseits war sein ganzes Verhalten Clarissa gegenüber untypisch gewesen …
Ein Kind. Er stellte sich vor wie die Frucht dieser Vereinigung aussehen würde. Ein süßes kleines Mädchen, mit den Augen der Mutter und mit seinem schwarzen Haar …
Verdammt, das reichte! Er rief sich zur Ordnung; er wollte keine Kinder, ob legitim oder illegitim! Fort mit diesen Fantasien! Wichtiger war die Frage, was er nun anfangen sollte. Ihr folgen? Und ihr anbieten – ja, was denn nun? Carte blanche ? Geld, eine Entschädigung? Wie er sie kannte, würde sie ihm das Geld ins Gesicht schleudern.
Während all dieser Überlegungen hatte er ganz mechanisch Toilette gemacht, ohne seinem Äußeren die mindeste Beachtung zu schenken, war aber wenigstens zu einer Entscheidung gekommen. Er würde nach London fahren, um Clarissa zu suchen.
Kaum dass er ein paar Bissen gefrühstückt hatte, machte er sich auf den Weg, doch auch während der Fahrt verweilte er immer wieder bei der letzten Nacht, die alle seine früheren – reichlichen – Erfahrungen übertroffen hatte. Clarissa war ihm eine ebenbürtige Geliebte gewesen, ihr Verlangen, ihr Feuer nicht weniger stark als seines. Er versuchte sich zu beruhigen, indem er sich sagte, dass er ihr keine Gewalt angetan, sich ihr nicht aufgedrängt hatte. Trotzdem musste er sich eingestehen, dass er ihr keine Wahl gelassen hatte, und deshalb stach ihn sein Gewissen, das den größten Teil seiner fünfunddreißig Lebensjahre so gut wie nicht existent gewesen war. Er mochte sie vielleicht nicht verführt haben, hatte jedoch gründlich dafür gesorgt, dass sie sich ihm nicht verweigern konnte. Und jetzt fehlte sie ihm schon, dabei waren sie erst wenige Stunden getrennt. Immerhin hatten sie drei Tage fast ununterbrochen miteinander verbracht, und irgendwie gehörte sie praktisch schon zu seinem Leben – nun ja, vielleicht nicht für immer, aber zumindest für die nächsten Monate konnte er sich das vorstellen. Im Moment fühlte er sich, als fehlte ihm ein wichtiger Teils eines Selbst, dessen Vorhandensein ihm bisher nicht einmal bewusst gewesen war.
Du nahmst mir nichts, das ich nicht geben wollte . Immer wieder ging ihm der Satz durch den Kopf. Wenn sie ihm eine Anklage entgegengeschleudert hätte, könnten seine Schuldgefühle auch nicht größer sein. Er stutzte unversehens. War der Brief etwa ein gemeiner Trick? Ein raf fi niert geplanter Angriff auf sein Gewissen, um ihn dazu zu bringen, dass er ihr folgte? Oft genug hatte er sich darüber gewundert, dass sie in ihm las wie in einem offenen Buch. Und ja, sie war unschuldig in sein Bett gekommen, aber das bedeutete ja nicht, dass sie grundsätzlich moralisch unschuldig war. Hatte sie ihm ihre Jungfräulichkeit geopfert in der Hoffnung, er werde sie durch Heirat entschädigen? Hatte sie ihn etwa doch übertölpelt?
Als er schließlich in seinem Haus am Grosvenor Square ankam, war er der Lösung keinen Schritt näher.
Clarissas Geld hatte für die private Chaise nicht gereicht, sie musste eng gedrängt in der viel langsameren öffentlichen Postkutsche heimfahren und erreichte London nicht allzu lange vor Kit. Der Preis für die Mietdroschke, die sie dann nach Hause brachte, leerte ihre magere Börse endgültig. Erleichtert, aber auch erschöpft, mit dem Gefühl, als hätten die drei letzten turbulenten, aufregenden Tage ihre Welt aus den Angeln gehoben, betrat sie ihr Heim und wollte gerade die Treppe nach oben erklimmen, um eine Weile in ihrem Schlafzimmer zu ruhen, ehe sie sich wieder dem unspektakulären alten Leben widmen musste, als die zitternde Stimme ihrer Mutter erklang. „Clarissa? Bist du das endlich? Gott sei Dank!“
Verwundert wandte Clarissa sich um. Da stand tatsächlich ihre Mutter an der Tür des kleinen Salons, ihr verrutschtes Spitzenhäubchen Zeugnis dafür, dass sie eben von ihrem Lager auf der Chaiselongue aufgestanden war.
„Mama, hast du mich so vermisst?“ Als sie sich zu ihr beugte und ihr die Wange küsste, bemerkte sie Tränenspuren. „Mama, was ist geschehen? Was hat dich so aufgeregt? Komm, erzähl es mir.“
„Ach, Clarrie, ich glaube, ich war sehr dumm. Und es tut mir so leid, aber ich wusste mir nicht zu helfen, und dich konnte ich ja nicht um Rat fragen. Du warst ja nicht hier.“ Lady Maria schluchzte auf.
Seufzend legte Clarissa ihr einen Arm um die Schulter und führte sie zum Sofa. Vorerst waren ihre eigenen Sorgen gründlich vergessen.
Nachdem sie eine Weile geduldig der sehr wirr
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