Ein Lord entdeckt die Liebe
ungewöhnlich, dass Chloe ihn verwirrt musterte. So hatte sie ihn noch nie erlebt, so offen und emotional. Stets hatte er alles getan, um seine Gefühle vor anderen zu verbergen – was sie nur zu gut verstand. Genau wie sie selbst hatte er Angst, verletzt zu werden.
Er war ihr sehr nah, hielt sie mit seinem Blick gefangen. Doch sie fühlte sich nicht von ihm bedrängt. „Es wird nicht leicht sein, Skandas Speer zu erwerben“, flüsterte sie.
„Und deshalb brauche ich Sie. Niemand hat so gute Verbindungen wie Sie zu Händlern und Sammlern. Ich fürchte, Sie wollen mir nicht helfen. Trotzdem bitte ich Sie, es zu tun.“
Erstaunt stellte sie fest, dass ihr Widerstand erlahmt war.
Obwohl sie so eng zusammengearbeitet hatten, waren sie einander nie wirklich nah gewesen. Zunächst war ihr das ebenso recht gewesen wie ihm. Doch dann hatte sie diese Regel durchbrochen, hatte versucht, ihn auf sich aufmerksam zu machen. Als sie erkennen musste, dass ihr Plan zum Scheitern verurteilt war, hatte sie sich entschieden, Denning Castle und Lord Marland zu verlassen.
Nie hatte sie damit gerechnet, dass er beginnen würde, die Mauer einzureißen, die er um sein Herz errichtet hatte. Doch gerade hatte er ihr einen Blick in sein Inneres gestattet. Und sie gestand sich ein, dass sie mehr sehen wollte.
Langsam, sagte sie sich selbst, nichts überstürzen! Würde sie ihre eigenen Ziele aus dem Auge verlieren, wenn sie der Bitte des Marquess jetzt nachgab?
Forschend betrachtete sie sein Gesicht. Gleichzeitig versuchte sie, sich Klarheit über ihre eigenen Wünsche zu verschaffen. Wahrhaftig, Lord Marland besser kennenzulernen, war ihr fast genauso wichtig wie mehr über sich selbst herauszufinden.
Braedon schien ihr Schweigen richtig gedeutet zu haben. „Ich lege einen Schwur ab, hier und jetzt“, erklärte er und schaute ihr fest in die Augen. „Ich werde nicht zulassen, dass die Suche nach dem Speer Sie daran hindert, Mairi die Unterstützung zu geben, die Sie ihr versprochen haben.“
Seine dunklen Augen funkelten so beunruhigend, dass Chloe erschauerte. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, ihre Haut kribbelte, und ihr Blut schien zu kochen.
„Ich schwöre“, fuhr Marland fort, „dass ich nichts tun werde, um die Veränderung, die mit Ihnen vorgeht, zu stoppen – so wenig ich sie auch verstehe.“
Sie nickte.
Er holte tief Luft und öffnete den Mund. „Ich …“
Sie brachte ihn zum Schweigen, indem sie ihm die Finger auf die Lippen legte. Wie weich und warm sie waren! Wie wundervoll erregend!
Dann bemerkte sie, dass er den Atem anhielt. Das gefiel ihr. „Ja“, hauchte sie.
„Sie werden mir helfen?“
Als er sprach, war es, als liebkose er mit seinen Lippen ihre Fingerspitzen. Ihr wurde ein wenig schwindelig, und aus irgendeinem Grund spürte sie deutlicher als je zuvor, dass sie lebte. Außerdem kam es ihr vor, als bestünden Tausende von unsichtbaren Verbindungen zwischen ihrem Körper und dem des Marquess. Sie schluckte. „Ich werde den Speer für Sie finden.“
Mit beiden Händen umfasste er ihre Taille und zog Chloe hoch.
Nie hatte er sie mehr an einen Krieger erinnert, einen unglaublich starken, wehrhaften Mann, der sich aus der Vergangenheit ins neunzehnte Jahrhundert verirrt hatte. Eine heiße Flamme loderte in ihr auf. Sie hob die Hände und legte sie flach auf Marlands Brust. Durch den dünnen Leinenstoff seines Hemdes spürte sie deutlich den raschen Rhythmus seines Herzschlags.
„Danke.“
Das Wort genügte, um ihre Nerven zum Vibrieren zu bringen. Sie legte den Kopf in den Nacken und schaute zu Marland auf.
Er lächelte. Es war ein absolut hinreißendes Lächeln.
Hundert Mal hatte sie von dem Moment geträumt, da er sie so anlächeln würde. Da er mit seinen Gedanken nicht bei irgendeiner antiken Waffe oder seinem neuen Ausstellungsraum sein würde, sondern bei ihr.
Nun war der Moment gekommen. Und die Welt stand Kopf. Nichts war mehr so wie noch ein paar Sekunden zuvor. Ein Glücksgefühl – so intensiv, wie sie es nie für möglich gehalten hätte – erfüllte sie.
Wer hätte gedacht, dass es etwas Gutes sein könne, selten zu lächeln? Doch nun, da sie erlebte, welche Wirkung Marlands Lächeln hatte, fand sie, dass es so wundervoll war, gerade weil es so wenigen Menschen zuteil wurde. Ihr hatte er es gerade geschenkt. Es erwärmte sie bis tief in ihr Inneres. Es war eine so bewegende Erfahrung, dass Gefühle und Hoffnungen in ihr erwachten, die sie längst begraben glaubte.
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