Ein Lord mit besten Absichten
eine Tasse Tee in der mit einem Handschuh bedeckten Hand. Charlotte hatte sich in einen Sessel gesetzt, ein Bein lässig über das andere geschlagen, und wippte auf nervtötende und wenig damenhafte Weise mit dem Fuß.
Gillian schob das Kinn vor, als sich vier Augenpaare gleichzeitig auf sie richteten.
»Guten Morgen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie dankbar ich bin, dass Sie alle einen Teil Ihrer kostbaren Zeit opfern, um mich mitten am Tage zu besuchen. Womit ich sagen will, dass Sie ja vermutlich tagsüber und nicht abends am meisten zu tun haben, obwohl ich das nicht mit Sicherheit weiß. Wann sind Sie denn am meisten beschäftigt, als Mätressen meine ich?«
Die vier Frauen sahen erst einander und dann Gillian an. Eine Frau, eine porzellanhäutige Dunkelhaarige, stieß ein Hüsteln aus. »Sie sind Lady Weston, nicht wahr?«
Gillian lächelte sie an. Anscheinend war diese Frau eine etwas vornehmere Metze. Vielleicht hatte sie ja ein völlig falsches Bild vom Charakter solcher Frauen im Kopf. Und dass Noble nur mit Frauen höheren Niveaus verkehrte und nicht mit gewöhnlichen Dirnen, ergab durchaus Sinn.
»Ja, ich bin Lady Weston. Ach, herrje, wir sollten uns wohl erst mal vorstellen, damit ich weiß, mit wem ich es zu tun habe.«
Die Dunkelhaarige in der Mitte stellte ihre Tasse ab und erhob sich. Auch die anderen Damen stellten ihren Tee beiseite. »Ich bin Madelyn de la Clare, Lady Weston, und ich muss zugeben, dass ich mich frage, warum Sie uns hergebeten haben. Ich kann Ihnen versichern, dass ich Ihren Mann seit mehreren Jahren nicht mehr gesehen habe. Wenn Sie mir irgendetwas sagen möchten, würde ich es sehr begrüßen, wenn Sie es jetzt tun könnten, und dann bin ich auch schon wieder weg. Meine Schwester passt nämlich auf meine Tochter auf, und ich würde sie gerne schnell wieder nach Hause holen.«
»Sie haben eine Tochter?«
»Ich habe drei Kinder, Mylady.«
»Ist eines von ihnen von Lord Weston?«, fragte Charlotte.
»Charlotte! Sei nicht so unverschämt. Noble hätte sich bestimmt zu seinen Kindern bekannt.«
»Ach, ja, Nick. Entschuldigung.«
Madelyn blickte mit würdevoller Miene von Gillian zu Charlotte. »Nein, Mylady, keines meiner Kinder ist von Lord Weston. Ich bin inzwischen verheiratet.«
»Wie wundervoll für Sie«, strahlte Gillian. »Ich erzähle Ihnen gerne, warum ich Sie alle herbestellt habe, doch vielleicht könnte ich mich vorher mit den anderen Damen bekannt machen?«
Eine kesse Schönheit mit walnussbraunem Haar neben Madelyn sprang auf und knickste flüchtig. »Ich bin Beverly Grant, Mylady, und ich habe Lord Weston vor sechs Jahren das letzte Mal gesehen.«
»Freut mich, Sie kennenzulernen.«
»Ich bin Laura Horn, M’lady«, sagte eine schüchterne Blondine, die nervös ihre Handschuhe drehte und den Blick ihrer sanften braunen Augen sittsam gesenkt hielt. »Ich habe Lord Weston vor acht Jahren getroffen. Er war sehr nett zu mir.«
»Dessen bin ich mir sicher. Und Sie sind?«
Die Letzte der vier hob das Kinn und betrachtete Gillian einen Moment lang ruhig. Ihr Haar hatte die Farbe von gesponnenem Flachs, und unter ihren dichten, dunklen Wimpern besaß sie ausdrucksvolle Haselnussaugen. »Anne Miller, Ma’am. Lord Weston war vor fünf Jahren mein Gönner.«
Gillian war zufrieden; die Frauen machten einen recht höflichen und gefälligen Eindruck. Andererseits hatten sie, wenn man ihre Beschäftigung bedachte, wahrscheinlich Erfahrung in gefälligem Auftreten.
Die dunkelhaarige Madelyn hüstelte wieder. »Ja, Mylady, darin haben wir alle Erfahrung.«
Gillian merkte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Charlotte krümmte sich vornüber, während sie sich stillvergnügt die Seiten hielt. »Char, benimm dich, du blamierst mich.«
»Ich glaube nicht, dass du mich dabei brauchst, Cousinchen«, sagte Charlotte, während sie sich eine Träne wegwischte.
Gillian ignorierte sie und unterrichtete die Mätressen über die beiden Angriffe auf Noble. Die Frauen gaben sich zwar alle überrascht, wirkten jedoch argwöhnisch und schienen sich nicht wohl in ihrer Haut zu fühlen. Außerdem spürte Gillian ihr Zögern.
»Nun, ich habe Sie hergebeten, um Sie um Ihre Unterstützung zu bitten.«
»Unsere Unterstützung?«, fragte Madelyn erstaunt. »Sie wollen
unsere
Hilfe? Wofür denn?«
Gillian erklärte ihnen ihren und Charlottes Plan. »Um Noble helfen zu können, muss ich zuerst alles über seine Vergangenheit erfahren. Ich beabsichtige, beide Rätsel zu lösen – wie
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