Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Felsdom. Motts karge Bemerkungen hatten in mir keine große Zuversicht ausgelöst, was die Begeisterung der dortigen Bewohner ob meiner Ankunft betraf, und auch der Kastellan hat nur darauf hingewiesen, dass, wenn Tulivar der Hort der Hinterwäldler für das Imperium sei, Felsdom die Hinterwäldler Tulivars beherberge. Ich hörte diese Worte wohl, wollte mir aber ein eigenes Bild machen. Außerdem hatte ich nicht mehr ewig Zeit für eine solche Expedition. Der Sommer würde sich bald dem Ende zuneigen, und war es erst so weit, würden Reisen im rauen Norden sehr beschwerlich sein. Frederick meinte, im Winter sei jede Siedlung in der Provinz sich selbst überlassen. Die kargen Wege würden dann völlig vom Schnee bedeckt sein und das Wetter so garstig, dass eine Reise nur dem zuzumuten war, der etwas wirklich Dringendes zu erledigen hatte.
Da es aber in Tulivar niemals etwas wirklich Dringendes gab …
Die Arbeiten am Turm waren gut vorangekommen. Der Zimmermann, den uns Frederick empfohlen hatte, zeigte sich kompetent, und als er die Münzen sah, hatte er in kürzester Zeit eine Truppe von gut zwanzig Arbeitern beisammen, die sich mit Eifer ans Werk machten. Auch sonst begannen die Bewohner der Stadt, von meiner Existenz Notiz zu nehmen: Am Tag nach meinem ersten Besuch in Tulivar tauchten Netty, Edita und zwei weitere alte Damen auf, nicht nur, um die erworbenen Waren zu liefern , sondern auch, um auf dem Gelände der Burg eine Garküche zu errichten und für ein paar Münzen meinen Männern warme Mahlzeiten zuzubereiten. Ich ließ all dies geschehen, denn es zeigte, dass wir die Geschäftstüchtigkeit der Menschen anregen konnten. Und die Tatsache, dass wir alle ordentlich und prompt bezahlten, sprach sich ebenfalls rasch herum. Das Fest würde so lange dauern, wie uns das Geld nicht ausging. Das war in der Tat meine größte Sorge, denn es fehlte uns gänzlich an Einnahmen.
Auch deswegen trieb es mich nach Felsdom. Das Dorf lag direkt an der nicht genau demarkierten Grenze zum nördlichen Gebirge. Es war bekannt, dass dort, in den Tälern, einige Menschen lebten; auch Bergtrolle und allerlei Zwerge wurden vermutet, wenngleich man diese lange nicht mehr gesehen hatte. Auf Trolle war derzeit niemand gut zu sprechen, und das würde wohl auch eine Weile so bleiben. Ich hatte selbst genug dieser Biester vom Leben zum Tode befördert.
Dennoch, vielleicht waren die Bewohner Felsdoms ja der grundsätzlichen Idee des Handels gegenüber aufgeschlossener als die Floßheims. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Ich beschloss, nur mit kleiner Mannschaft aufzubrechen. Selur würde in meiner Abwesenheit das Kommando übernehmen, allerdings schärfte ich ihm ein, sich in allem mit Frederick und Mott zu beraten. Ich selbst nahm Woldan mit sowie einige weitere meiner Soldaten. Ein Packpferd sollte für unsere Vorräte ausreichen. Nach den Angaben, die wir bekommen hatten, dauerte die Reise in den Norden bei gutem Wetter vier Tage. Die Straße dorthin war längst vom Zahn der Zeit kaputt genagt worden, wie nicht anders zu erwarten. Es gab ohnehin kaum Verkehr zwischen Felsdom und Tulivar. Frederick meinte, er wäre vor drei Jahren zuletzt dort gewesen, zur Beerdigung des alten Dorfschulzen und zur Ernennung des neuen, eines Mannes namens Coran. Wie sich dieser seitdem so gemacht hatte, wusste der Kastellan auch nicht. Coran konnte weder lesen noch schreiben und schickte demnach auch keinerlei Berichte. Ich hoffte, dass er sich als zugänglicher als Lorik erweisen würde.
An einem frischen Sommermorgen brachen wir auf. Ich hatte vor, nicht länger als insgesamt zwei Wochen fortzubleiben. In der Zwischenzeit, so versicherte mir Selur, würde er dafür sorgen, dass der Turm bezugsfertig und ein Pferdestall errichtet würde. Ich vertraute ihm in diesen Dingen. Was Selur versprach, hielt er auch ein. Und er scheute sich nicht, selbst hart anzupacken. Ich brach beruhigt und zuversichtlich auf.
Die Reise verlief relativ ereignislos. Ich durfte feststellen, dass der Norden Tulivars keine sehr einladende Gegend war. Es wurde zunehmend felsiger, je weiter wir uns von der Stadt entfernten. Tatsächlich lagen die meisten Äcker südlich der Stadt. Auch die Besiedlung wurde dünner. Viele der kleinen Höfe, die wir ausmachen konnten, waren verlassen und die Gebäude zeigten unterschiedliche Stadien des Verfalls. Eine Stimmung der Trostlosigkeit lag über dem Land, verstärkt durch die trockene Luft und die Tatsache, dass es bis zum
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