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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van den Boom
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vereinbaren einen festen Zeitpunkt und dann werden wir deinen Geist überwechseln lassen.«
    »Einfach so?«
    »Einfach? Nein. Das Ritual ist kompliziert und dauert Tage. Aber damit hast du nichts zu tun, denn wir haben es bereits abgeschlossen. Hier!«
    Neja hielt mir einen Stein hin. Ich nahm ihn und drehte ihn in den Fingern. Es war ein flacher, recht kleiner Stein. Nichts weiter.
    »Damit mache ich … was?«
    »Du legst dich hin und steckst ihn in den Mund, unter die Zunge. Wenige Augenblicke später wird der Übergang beginnen. Du musst nichts weiter tun.«
    Ich sah Neja misstrauisch an. »Für so eine Art von Ritual benötigt man, soweit ich darüber gehört habe, eigentlich …«
    »Dalina hat mir ein paar deiner Haare besorgt. Das war ausreichend.«
    Ich räusperte mich.
    Fell oder kein Fell, ich wusste jetzt, wo mein Platz war.
        
     

26   Loka, der Späher
     
    Und so war der Tag gekommen, an dem ich mich in ein überdimensionales Erdmännchen verwandeln sollte. Dalina hatte hierzu einige passende Bemerkungen gemacht, ebenso wie fast jeder, der in diese Aktion eingeweiht worden war, und ich erlaube mir an dieser Stelle, den genauen Inhalt dieser Worte für mich zu behalten.
    Es war ein später Vormittag und zur vereinbarten Zeit legte ich mich auf ein Bett, umringt von Weib, Kind sowie Selur und zwei weiteren meiner Krieger, schaute in die Runde, fühlte mich unangenehm an eine Sterbebettszene erinnert und beschloss, die Formalitäten auf ein absolutes Minimum zu beschränken. Die genaue Vorgehensweise war schon mehrmals bis ins Kleinste besprochen worden und ich war der Wiederholungen müde.
    Ich lächelte, öffnete den Mund, legte den Stein unter meine Zunge. Er glitt dort in eine Position, als sei er dafür geschaffen worden – was bei rechter Betrachtung wohl auch so war. Im ersten Moment spürte ich nichts, dann aber überfiel mich eine plötzliche Ermattung, der ich mich bereitwillig ergab. Einige Augenblicke war ich noch wach und nahm die Umgebung, auch die plötzlich etwas sorgenvollen Blicke meiner Frau und Selurs, bewusst wahr. Dann aber verschleierte sich mein Blick und ich …
    Nein, ich schlief nicht ein. Ich kann den Prozess nicht recht beschreiben. Im Nachhinein kann ich ihn am besten als einen Wechsel der Perspektive fassen, ohne dass diese Worte den komplexen und durchweg verwirrenden Wahrnehmungen und Empfindungen gerecht werden, die tatsächlich auf mich eindrangen. Ich konnte nicht einmal sagen, wie lange diese Prozedur dauerte – für die Außenstehenden war sie unmittelbar: Ich schloss die Augen in Tulivar und öffnete sie als Loka an der Nordgrenze. Doch für mich war zwischendurch eine Reise vonstattengegangen. Dabei will ich es belassen. Ich verstehe es bis heute nicht, und ich werde es wahrscheinlich auch nie verstehen.
    Mein erster Eindruck nach diesem Perspektivwechsel war, dass diese seltsamen Erdmännchen, zu denen Neja und Loka gehörten, verdammt gute Augen hatten. Ich richtete mich unwillkürlich auf meine … Hinterpfoten auf und reckte meine Nase in die klare Luft am Nordgebirge. Es war ein interessantes Gefühl, nicht mehr als das dichte Fell zu tragen, und der Größenunterschied machte mir zu schaffen. Ich war jetzt sehr klein. Ich musste aufpassen, nicht mit dem Kopf gegen herumliegende Felsbrocken zu laufen. Das war schwer, denn ich stellte fest, dass ich verdammt schnell laufen konnte, wenn ich nur wollte.
    Neja saß unweit neben mir und beobachtete nur, wie ich mit Lokas Körper zurechtkam. Ich benötigte eine halbe Stunde, bis ich mich einigermaßen koordiniert bewegen konnte, und trippelte erst dann zur Sprecherin zurück, um ihr zu sagen, dass ich bereit war, die Erkundungsmission zu beginnen.
    Da stellte ich fest, dass ich Neja mit ganz anderen Augen betrachtete.
    Als Mensch war sie irgendwie … niedlich gewesen, so, wie man eine Katze niedlich fand. Aber bewusst oder unbewusst hatte ich sie als ein sprechendes Tier wahrgenommen, eine Zirkusattraktion mit Gewöhnungseffekt, etwas seltsam – nein, sehr seltsam – und dann aber irgendwie genauso vertraut wie … na ja, wie eine sehr seltsame Hauskatze eben.
    Jetzt war es aber anders.
    Ich wusste gar nicht … es … war anders.
    Ich merkte, wie mein Blick magisch von Nejas Hinterteil angezogen wurde. Und ich merkte, wie seltsame Düfte an meine empfindliche Nase kamen, die ich nicht richtig zuordnen konnte. Und ich merkte, dass sich etwas Winziges zwischen meinen Hinterläufen, dem ich bisher

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