Ein Lotterie-Loos
Familie doch nicht so glücklich sein möge, wie er immer geglaubt hatte. Die Ungeduld, mit der Bruder und Schwester jeden Tag den Postboten von Christiania oder von Bergen erwarteten, ihre Enttäuschung, ja, ihr Kummer, wenn sie sahen, daß derselbe niemals einen Brief für sie mitbrachte, waren zu deutliche Zeugen dafür.
Jetzt schrieb man schon den 9..Juni – und noch immer keine Nachricht über den »Viken«! Schon handelte es sich also um eine Verzögerung von über zwei Wochen nach dem für seine Heimkehr bestimmten Zeitpunkt. Nicht ein einziger Brief von Ole! Nichts, was den heimlichen Kummer Huldas hätte mildern können! Das arme Mädchen begann allmählich zu verzweifeln, und Sylvius Hog fand sie eines Morgens mit recht roth geweinten Augen.
»Was bedeutet das? fragte er sich. Ein Unglück, das man fürchtet und mir verhehlt? Betrifft es wohl ein Geheimniß der Familie, in das ein Fremder einzudringen nicht berechtigt ist? Doch bin ich für sie denn immer noch ein Fremder? Nein; das können sie doch selbst nicht glauben. Nun, wenn ich meine Wiederabreise ankündige, werden sie vielleicht deutlich einsehen, daß es ein wahrer Freund ist, der von ihnen scheidet.«
Noch an demselben Tage begann er also:
»Liebe Freunde, es naht nun der Zeitpunkt, wo ich zu meinem lebhaften Bedauern Euch doch endlich verlassen muß.
– Schon, Herr Sylvius, schon! rief Joël mit einer Lebhaftigkeit, die er kaum zu bemeistern vermochte.
– O, hier bei Euch vergeht Einem die Zeit gar zu geschwind. Jetzt weile ich schon seit siebzehn Tagen in Dal.
– Wie?… Siebzehn Tage? wiederholte Hulda.
– Ja, liebes Kind, und das Ende meines Urlaubs rückt heran. Ich habe jetzt kaum noch eine Woche übrig, die geplante Reise nach Drammen und Kongsberg auszuführen. Und doch verdankt das Storthing eigentlich nur Euch, daß ihm die Mühe erspart bleibt, meinen Deputirtenplatz mit einem Nachfolger zu besetzen, und das Storthing wird ebenso wenig wie ich selbst sich darüber klar werden können, welche Belohnung…
– O, Herr Sylvius!… fiel ihm Hulda ins Wort, die ihm mit ihrer kleinen Hand den Mund verschließen zu wollen schien.
– Nun ja, ich gehorche, es ist mir ja verboten, davon zu sprechen… wenigstens hier!…
– Weder hier, noch sonstwo! sagte das junge Mädchen.
– Es sei; in dieser Angelegenheit bin ich eben nicht mein eigener Herr und muß mich unterwerfen; doch werden Sie und Joël nicht einmal nach Christiania kommen, um mich zu besuchen?
– Sie besuchen, Herr Sylvius?…
– Nun ja, mich besuchen…. Ein paar Tage in meinem Hause zu verbringen… natürlich zugleich mit Frau Hansen.
– Und wenn wir das Gasthaus verlassen, wer sollte demselben dann vorstehen?
– O, das Gasthaus bedarf Eurer, mein’ ich, dann einmal nicht mehr, wenn die Reisezeit vorüber ist. Ich denke also, mit Ende Herbst müßte sich das ausführen lassen….
– Herr Sylvius, antwortete Hulda, das dürfte doch seine Schwierigkeiten haben….
– Nein, im Gegentheil, liebe Freunde, das geht ganz leicht. Antwortet mir nicht »Nein!«, eine Weigerung nehme ich nicht an. Und dann, wenn ich Euch erst da unten habe, im besten Zimmer meines Hauses, neben meiner alten Kate und meinem alten, treuen Fink, dann werdet Ihr wie meine Kinder sein und als solche müßt Ihr mir auch sagen, was ich vielleicht für Euch thun kann.
Sie erwarteten ihn bei der Fährmannshütte. (S. 86.)
– Was Sie thun könnten, Herr Sylvius? erwiderte Joël, seiner Schwester einen Blick zuwerfend.
– Joël!… rief Hulda, welche den Gedanken des Bruders errieth.
– Sprechen Sie, junger Freund, sprechen Sie offen!
– Nun gut, Herr Sylvius, Sie könnten uns eine sehr große Ehre erweisen.
– Ich? Inwiefern?
– Etwas, was Ihnen nicht allzu viel Unbequemlichkeit auferlegte, Sie könnten der Hochzeit meiner Schwester Hulda beiwohnen…
– Ihrer Hochzeit? rief Sylvius Hog erstaunt. Wie, meine kleine Hulda will sich verheiraten, und mir hat man kein Sterbenswörtchen davon mitgetheilt?
– Ach, Herr Sylvius!… seufzte das junge Mädchen, deren Augen sich mit Thränen füllten.
… Und wann soll diese Hochzeit stattfinden?
– Wann es Gott gefällt, uns Ole, Huldas Bräutigam, wieder heimzuführen!« antwortete Joël.
XI.
Joël erzählte nun die Geschichte Ole Kamp’s. Sehr ergriffen von der Schilderung, lauschte ihm Sylvius mit gespannter Aufmerksamkeit. Jetzt wußte er Alles. Er hatte eben auch den letzten Brief gelesen, der die Rückkehr
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