Ein Macho auf Abwegen
Frau Klasen ist heute
noch nicht zur Arbeit erschienen. Weißt du etwas von ihr? Hast du mit ihr
gesprochen? Ist sie krank, oder so etwas?“, fragte er bedacht.
„Nein. Davon weiß ich nichts. Ich habe sie seit gestern
nicht mehr gesehen. Heute Morgen wollte ich sie abholen, aber sie hat nicht
aufgemacht. Ich dachte, sie wäre bei dir im Studio!“, antwortete Gaby. „Nein,
ist sie nicht“, sagte er kaum hörbar und legte, ohne sich zu verabschieden,
einfach auf.
Na gut, dann fahre ich eben zu ihr, und zwar jetzt sofort!
Irgendwann wird sie wohl jemandem die Türe aufmachen. Bevor er diese
Angelegenheit nicht geklärt hätte, würde er im Büro sowieso auf keinen grünen
Zweig kommen. Er hatte einfach keinen freien Kopf fürs Arbeiten.
In seinem Vorzimmer läutete das Telefon. Marc brauchte einen
Moment, bis er begriffen hatte, dass er den Anruf selber annehmen musste. Er
lief zu Christinas Schreibtisch und nahm den Hörer ab. Am anderen Ende der
Leitung meldete sich eine unbekannte Frauenstimme. „Herr Stevens?“ Marc gab
sich niemals sofort am Telefon zu erkennen, denn gelegentlich bekamen
irgendwelche Fans seine Büronummer heraus und versuchten mit ihm zu sprechen.
Deshalb fragte er behutsam nach. „Worum geht es?“
„Spreche ich mit Herrn Marc Stevens persönlich?“, hakte die
fremde Stimme nach. Marc blieb beharrlich bei seiner Methode. „Um was geht es
denn, bitteschön? In welcher Angelegenheit möchten Sie Marc Stevens sprechen?“
Mit einem etwas ungeduldigen Unterton gab die Frau ihm Auskunft. „Hören Sie!
Mein Name ist Inge Fink. Ich bin die Leiterin des Frauenhauses, wo Herrn
Stevens Assistentin, Christina Klasen, nebenberuflich tätig ist ...“ Mit diesem
Namen konnte er etwas anfangen. „Frau Fink kann nicht so schnell einen Ersatz
für mich bekommen!“, hatte die Klasen gestern Morgen noch zu ihm gesagt.
„Sie sprechen mit Marc Stevens. Was kann ich für Sie tun,
Frau Fink?“ Wenigstens ließ sie sich entschuldigen, dachte er. Das würde ja
wohl bedeuten, dass sie ihren Job doch nicht hinschmeißen wollte.
„Ich habe leider keine guten Nachrichten für Sie ...“,
setzte Inge Fink fort.
„Sie will kündigen ...“, fiel er ihr ins Wort.
„Nein, Herr Stevens. Es ist leider viel schlimmer ... Es ist
etwas Schreckliches passiert.“
Sie berichtete ihm, was in der vergangenen Nacht geschehen
war. Marc schlug das Herz bis zum Hals. „Wo ist sie jetzt?“, fragte er
erschüttert. „In der Hanseklinik, Herr Stevens. Ich rufe Sie von der
Intensivstation aus an.“
„Ich komme sofort zu Ihnen!“, rief er in den Hörer, legte
auf und eilte über den Flur zum Aufzug.
Man wollte ihn zunächst nicht auf die Intensivstation
lassen. Der Zutritt zu diesem Bereich war nur für Verwandte der Patienten
zugelassen. Frau Fink klärte die diensthabende Stationsschwester über
Christinas Familienverhältnisse auf. „Ich glaube, Herr Stevens und ich sind so
ziemlich die einzigen Menschen in Frau Klasens Leben, Schwester!“
Sie betraten das Krankenzimmer, und Marc starrte fassungslos
auf das, was er dort im Bett liegen sah.
Christinas Gesicht war eine einzige blauverquollene Masse.
Ihre Lippen waren von getrocknetem Blut dickverkrustet. Ihren Kopf hatte man
fast vollständig verbunden.
Der linke Arm war eingegipst. Wenn man ihm nicht vorher
gesagt hätte, wer dort in diesem Bett lag, er wäre niemals darauf gekommen, um
wen es sich handelte. Das bedauernswerte, zerbrochene Wesen hatte nichts mit
dem zu tun, was Frau Klasen gestern noch gewesen war. Nämlich eine bildschöne
Frau, mit ungeheurem Stolz in sich.
„Wer macht denn so etwas?“, fragte er erschüttert. Wer hatte
ihr das bloß angetan? Welcher Mensch war zu so etwas nur fähig? Gab es an
diesem Körper überhaupt noch etwas, was noch heil geblieben war? Für ihn
grenzte es an ein Wunder, dass sie überhaupt noch atmen konnte.
Christina stöhnte leise, als ein Arzt an ihr Bett trat, um
nach ihr zu sehen. „Sie ist immer noch ohne Bewusstsein.“
„Wegen der Narkose?“, erkundigte sich Marc. „Nein, nein. Sie
ist im Koma. Wir machen uns große Sorgen um ihren Kopf. Man hat ihr mit einem
sehr harten Gegenstand äußerst brutal auf den Schädel geschlagen.“
„Welche Verletzungen hat sie noch?“
„Die Milz war gerissen. Deswegen haben wir sie letzte Nacht
sofort operieren müssen. Ihr linker Unterarm und drei Rippen, ebenfalls auf der
linken Seite, sind gebrochen. Es sind alles glatte Brüche,
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