Ein Mädchen aus Torusk
hatte asiatisches Blut in sich. Das verblüffte Abels sehr und machte ihn gleichzeitig besonders vorsichtig. Peter Ulski nahm Platz, verweigerte nicht die Annahme einer Zigarette, wartete, bis auch Abels sich eine Zigarre angesteckt hatte, und lehnte sich dann zurück.
»In Ihrem Hause beherbergen Sie eine Anuschka Turganow?« fragte er ohne große Umschweife. Abels hob die Augenbrauen.
»Zunächst: Beherbergen ist wohl nicht der richtige Ausdruck. Anuschka ist vor Gott meine Frau!«
»Gott!« Ulski lächelte mokant. »Bemühen wir den alten, müden Mann nicht, Herr Abels.«
»Ich werde in aller Kürze Anuschka auch nach deutscher Sitte heiraten.«
»Das dürfte Schwierigkeiten machen.«
»Was geht das Sie an?«
»Sie haben keine Papiere für Anuschka. Deutsche Standesämter trauen nur, wenn einwandfreie Papiere vorliegen, Paß, Geburtsurkunde, Impfschein.«
»Ich verstehe.« Abels lehnte sich zurück. So schnell, dachte er. Sie arbeiten prompt in Moskau. »Ich hätte nicht erwartet, daß Sie so bald hier auftauchen. Sie kommen von der sowjetischen Botschaft?«
»Nein. Ich bin Angehöriger einer anderen Dienststelle.« Peter Ulski schnippte die Asche von seiner Zigarette. Er hatte lange, dünne Finger. Auf dem Ringfinger glänzte ein Goldring mit einer Platte aus Lapislazuli. »Wir anerkennen Ihren Mut und Ihre phantastische Leistung, womit sie Anuschka Turganow aus Sibirien holten, aber gesetzlich und auch völkerrechtlich bleibt das immer noch eine Entführung!«
»Wollen Sie von Gesetz sprechen?« rief Abels. Er hätte fast gelacht, aber ein bitteres, ein anklagendes, ein aufschreiendes Lachen. »Ich werde Anuschka als politischen Flüchtling melden und ihr neue Papiere ausstellen lassen.«
»Leider stößt dies auf Schwierigkeiten.« Ulski betrachtete den Aufdruck auf dem Zigarettenpapier. Die Zigarette gefiel ihm. Sie war eine echte Orientimporte. »Wir haben der deutschen Polizei die Entführung Anuschka Turganows bereits gemeldet. Eine gewaltsame Entführung. Die Aussage des Vaters, des guten Pawel Andrejewitsch, liegt bei, in deutscher Übersetzung. Er klagt den Entführer seines Täubchens an und bittet den deutschen Staat um Hilfe.«
»O ihr Hunde!« Abels sprang auf. »Man weiß, wie solche Aussagen zustande kommen. Ihr habt Pawel Andrejewitsch gezwungen, solche Lügen zu unterschreiben. Ihr habt ihn gefoltert.«
»Aber Nikolai Stepanowitsch, so hießen Sie doch, nicht wahr? Sie sehen, wir wissen alles. Turganow war sehr willig auszusagen, nachdem wir ihn zu einer Besichtigungsfahrt nach Karaganda mitnahmen und ihm zeigten, wie herrlich frei man in Torusk leben kann und wie dumpf und dunkel es im Bergwerk ist. Und auch Olga Turganowa hat unterschrieben.« Peter Ulski schlug die Beine übereinander. Er fand es gemütlich und sehr gepflegt im Hause Abels. »Die deutschen Behörden waren sehr beeindruckt von den Aussagen. Wen interessiert es, wie sie zustande kamen? Wir sind doch kluge Leute, Nikolai Stepanowitsch. Keine deutsche Behörde wird sich um die Wahrheit kümmern, wenn es um Staatsinteressen geht. Das deutsch-sowjetische Verhältnis sollte nicht noch mehr durch solche private Dinge belastet werden, die man schnell als einen feindlichen Akt bezeichnen kann. Menschenraub aus der Sowjetunion, von einem Westdeutschen, die Eltern gebrochen, am Rande des Wahnsinns vor Schmerz … ein Wink an die Presse, und Ihre Liebe zu Anuschka wird ein heißes Politikum. In der Sowjetunion, in Deutschland, in der ganzen Welt wird der ›Fall Abels‹ bekannt werden. Sie wissen doch, Nikolai Stepanowitsch, wir verstehen uns auf Propaganda.«
»Und was soll das alles? Warum diese langen Reden?« Abels blieb mit geballten Fäusten vor Ulski stehen. »Soll ich etwa Anuschka nach Torusk zurückbringen?«
»Aber nein! Wo denken Sie hin, Nikolai Stepanowitsch? Anuschka ist uns völlig gleichgültig. Werden Sie glücklich mit der kleinen Füchsin! Uns geht es um andere Dinge. Um politische Dinge.«
»Ich habe doch mit Politik nichts zu schaffen!« rief Abels laut. Peter Ulski nickte eifrig.
»Sie sehen es falsch, Nikolai Stepanowitsch. Man hat sich in Jakutsk und in Moskau lange die Köpfe zermartert, bis man unserer Dienststelle den Auftrag erteilte. Rekapitulieren wir einmal. Irgendwo – wo, das wissen wir nicht – sind Sie in die Sowjetunion eingesickert. Das allein ist für einen Staat, der auf seine Sicherheit bedacht sein muß, alarmierend. So wie Sie können andere, gefährliche Spione einsickern,
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