Ein Mädchen aus Torusk
Generationen vielleicht die ›verrückte‹ nennen werden.«
Hoch über Alaska, mit Richtung auf das Bering-Meer, zog in 12.000 Meter Höhe eine einsame Maschine. Ihr Motorengebrumm saugte die Unendlichkeit auf.
In dem engen Laderaum hockte Betty Cormick und schlief. Den Kopf hatte sie auf den zusammengelegten Notfallschirm gelegt.
Zur gleichen Zeit bekamen die sowjetischen Flugabwehrstationen an der Küste des Bering-Meeres und des inneren sibirischen Verteidigungsringes Alarm. In Irkutsk trat das Oberkommando zusammen.
Eine Agentenmeldung war eingetroffen.
Über Sibirien – wo, das wußte man nicht – würde ein amerikanischer Spion abgesetzt. Er war schon unterwegs.
Ahnungslos flog Betty Cormick in die Hölle.
*
Für die Schönheiten Tokios hatte Martin Abels keinen Blick übrig. Er wanderte nicht durch die Gärten, besichtigte nicht die Shintoschreine, versäumte einen Bummel über die Ginza , die ›Straße der tausend Freuden‹, wie sie der Asiate blumig nennt, kümmerte sich nicht um die offenen Parks des Kaiserpalastes und um die Feierlichkeit in einer Teestube mit Geishabedienung und zarter, grillenhafter Gitarrenmusik.
Er ließ sich zur deutschen Botschaft fahren, sprach mit dem Handelsattaché und bat um die Adresse der Handelsmission der Mongolischen Volksrepublik.
»Was wollen Sie denn dort?« fragte der Attaché konsterniert. »Das ist doch ein kommunistisches Land. Im übrigen kann ich ihnen sagen – falls Sie die stille Hoffnung hatten –, daß die Mongolen keinen ins Land lassen. Und die Chinesen nur nach langer Überprüfung. Außerdem, das wissen Sie, kann die deutsche Botschaft für Sie keinen Schutz mehr übernehmen, sobald Sie hinter dem berüchtigten ›Bambusvorhang‹ verschwunden sind. Sie wären vogelfrei, Herr Abels.«
»Das ist mir klar.« Martin Abels sah aus dem Fenster in den typisch japanischen Garten. Kirsch- und Mandelbäume wiegten sich an schmalen Wasserläufen, über die sich zierliche, gebogene Brücken spannten. Ein großer Essigbaum und einige Perückensträucher bildeten eine Gruppe auf einer blühenden, mit Blumen übersäten Wiese. »Ich möchte trotzdem die Verbindung mit den Mongolen aufnehmen.«
»Es ist sinnlos.«
Erst nach einem Händedruck mit dem Botschaftsrat und Stellvertreter des Botschafters erhielt Abels die Adresse. Immer wieder sagte man ihm, daß er sich außerhalb jeglichen Rechtsschutzes begebe, sobald er den Bambusvorhang durchschritt.
»Meine Herren, ich verlange ja gar keinen Schutz!« sagte Abels endlich und trat damit den deutschen Botschaftsangestellten deutlich auf die Füße. »Ich will nur eine Adresse, weiter nichts.«
Er bekam sie und wurde kühl verabschiedet. Vorher hatte man seinen Namen, seine Paßnummer und sonstige Personalien notiert. Mit den täglichen Berichten flog auch sein Name um den halben Erdball nach Bonn und von dort nach Köln zum Verfassungsschutzamt.
Ein Mann, der schutzlos in die Mongolei will, ist verdächtig. Das Motiv, in Rußland ein Mädchen zu suchen, stieß auf lächelnde Ablehnung. So selbstverständlich es ist, Heldentum für den Staat zu fordern, so absurd schien es, das gleiche Heldentum für eine Frau einzusetzen. Obgleich es edler ist, als für einen Staat zu leiden. Denn eine Frau kennt Dankbarkeit.
Die Handelsmission der Mongolischen Volksrepublik hauste in einem alten Gebäude an der Tokio-Bucht. Der Blick aus den breiten Fenstern ging über die Fischerboote und Ausflugsdampfer und über den Fischmarkt, auf dem jeden Morgen die Thunfischversteigerungen stattfanden.
Es waren nüchterne, moderne Büroräume, in die Martin Abels kam. Ein paar Gemälde auf Seide erinnerten lediglich daran, daß in diesen getünchten Wänden Nachkommen des Dschingis-Khan wohnten, nicht mehr in langen Gewändern oder ledernen Reiterhosen, sondern in Maßanzügen, mit goldeingefaßten Brillen und einem Lächeln, dessen Unergründlichkeit fast lähmend wirkte.
Es dauerte zwei Stunden – Martin Abels wartete in einem nach amerikanischem Muster eingerichteten Gästezimmer mit Stahlrohrmöbeln und Klimaanlage –, bis der Geschäftsführer der Mission ihn empfangen konnte. Hier, im wichtigsten Raum des Hauses, war Asien. Mongolische Lampen hingen von der Decke, die Wände waren mit Bambustapeten beklebt, die Stühle wiesen reiches Schnitzwerk auf, und die Polsterkissen bestanden aus einem Gewebe aus Kamelhaar. Ulan Manichugur, der Geschäftsträger, erhob sich, als Abels eintrat, und gab seinem Gast die
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