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Ein magischer Walzer

Titel: Ein magischer Walzer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Gracie
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nicht?“
    „Nein. Puppen haben keinen Nutzen. Nun, sollen wir weitergehen zu den Schlafsälen?“
    Hope folgte, innerlich wie erstarrt. Das Leben dieser kleinen Mädchen war so freudlos und grimmig. Völlig bar jeder Freude.
    Sie dachte an die kleine May mit ihrer Zahnlücke und ihrem breiten Lächeln, ihrer Schürze, die sie besorgt knetete, ihren festen kleinen Rattenschwänzen und den glänzenden, soliden Stiefeln. Und ihrem Optimismus, der der unerbittlichen grauen Rationalität trotzte.
    Eine Puppe. War das zu viel verlangt?
    Eine Puppe war leicht zu machen - ein kleines Stück Lumpen und ein paar überlegt verteilte Knöpfe, und schon hatte man eine kleine Freundin für einen selbst, die man mit ins Bett nehmen konnte und an sich drücken, die man lieb haben und der man seine Geheimnisse anvertrauen konnte.
    Schweigend folgte sie den anderen.
    Sie besichtigten zwei Schlafsäle, in denen je fünfzehn schmale Liegen mit grauen Wolldecken standen. Hinter jedem Bett war an der Wand ein Haken, an dem das Sonntagskleid jedes Mädchens hing. Am Fußende des Bettes befand sich eine kleine Truhe, in der die anderen Kleidungsstücke untergebracht waren. Lady Elinore zeigte ihnen den Inhalt einer solchen Truhe. Bis auf die Kleider enthielt sie keine persönlichen Gegenstände.
    Der Schlafsaal für die jüngeren Mädchen unterschied sich in nichts von dem der älteren. Keine Puppe, kein Buch, kein Andenken war zu sehen. Die Wände schmückten Texte aus den veröffentlichten Werken von Lady Elinores verstorbener Mutter.
    Und alles - wirklich alles! - war grau, schwarz, weiß oder braun. Kein Anflug von Blau, Grün, Rosa, Gelb oder gar Rot.
    Hope betrachtete alles, ohne ein Wort zu sagen. Sie musste immerzu an die kleine May denken. Die Merridew-Mädchen waren Waisen. Wenn niemand sie aufgenommen hätte, hätten sie gut an einem Ort wie diesem hier landen können ... und dies hier war noch eines der besseren Waisenhäuser.
    Sie besahen sich den Arbeitsraum. Sechzehn Mädchen im Alter von elf bis fünfzehn saßen in Reihen und nähten oder stopften. Zweifellos mit ihren Geburtstagsnadeln.
    „Mädchen!“ Eine schwarz gekleidete Frau, die vorne saß, klatschte in die Hände. „Wir haben Gäste.“
    Die Mädchen legten ihre Arbeit nieder, standen auf und knicksten. Jedes Mädchen trug exakt das gleiche Gewand aus grauem Serge, schwarze Wollstrümpfe und feste schwarze Stiefel. Ihr Haar war streng nach hinten gekämmt und am Kopf festgesteckt. Ihre jungen Gesichter waren blass und ernst.
    „Guten Tag, sehr verehrte Damen und Herren“, sagten sie im Chor, setzten sich und nahmen ihre Arbeit wieder auf. Die Nadeln glitten nicht langsamer durch den Stoff, obwohl Hope auffiel, dass viele der Mädchen sie und ihre Schwester unter gesenkten Lidern neugierig musterten, jede Einzelheit ihrer Kleidung und Aufmachung wahrnahmen. Aber ihre Köpfe blieben gesenkt.
    Ihr demütiges Schweigen war beklemmend. Faith drückte ihre Hand.
    Hope beobachtete die flitzenden Nadeln. Sie dachte an die Stunden, die sie als Kind damit verbracht hatte, Säume zu nähen. Die Stiche mussten nachher immer wieder aufgetrennt werden, weil sie krumm oder unordentlich waren.
    „Es ist fast so schlimm wie bei Großvater“, flüsterte Faith.
    Hope schüttelte den Kopf. Es war schlimmer. Großvater war vielleicht hasserfüllt und gewalttätig, aber ihre Schwestern waren liebevoll gewesen und hatten sich gegenseitig geholfen. Diese Mädchen hier schienen ... nichts zu haben. Keine Freundschaft, keine Kameradschaft. Niemanden, um den sie sich kümmern oder den sie lieb haben konnten. Ihnen wurde nichts Persönliches erlaubt, noch nicht einmal eine Puppe. Für ihr leibliches Wohl wurde gesorgt, nicht aber für ihre Seelen.
    Mitleid wallte in Hope auf. Sie mussten so einsam sein.
    „Es ist schön, solchen Fleiß zu sehen“, erklärte Lady Elinore stolz.
    Hope starrte sie ungläubig an. Merkte sie es nicht?
    „Unsere Mädchen nähen alle Kleider selber, die sie tragen, und ihre Strümpfe stricken sie. Nur ihre Stiefel stammen natürlich von einem Schuhmacher in der Nähe. Aber ein paar der älteren Mädchen lernen die Hutmacherei und fertigen alle Hüte und Kappen.“
    Hope schaute auf die Reihe schmuckloser grauer Hüte an den Haken im Flur. Unter jedem Haken hing ein schlichter grauer Mantel. Alles, was sie voneinander unterschied, waren die Größe des Kleidungsstückes und die Nummern über den Haken.
    Am liebsten hätte sie geschrien, um die Stille und

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