Ein magischer Walzer
bestürzt ihre Schwester. Nach einem Augenblick legte sie ihren Keks sorgsam auf ihren Teller, rutschte von ihrem Stuhl und legte die Arme um ihre große Schwester.
Aber sie gab keinen Laut von sich oder erklärte etwas. Was auch immer für ihr Schweigen verantwortlich war, schien dazu bestimmt, auf ewig ihr Geheimnis zu bleiben.
12. KAPITEL
„Darf ich fragen, weshalb Sie gekommen sind, Mr. Bemerton?“, erkundigte sich Lady Elinore kühl. „Eigentlich hatte ich es so verstanden, dass die Damen Merridew eingeladen sind, und Mr. Reyne braucht natürlich keine Einladung.“
„Lady Elinore.“ Giles Bemerton machte eine anmutige Verbeugung über ihrer widerwillig ausgestreckten Hand. „Als Bastian es erwähnte, konnte ich nicht widerstehen. Ich denke selbst daran, mir ein Waisenhaus zu kaufen.“
Lady Elinore starrte ihn an. „Sie?“
Giles lächelte in die Runde und erklärte gespielt verschämt: „Ein Geschenk für eine Dame.“ Er flatterte mit den Wimpern. „Soweit ich es verstehe, ist es momentan der letzte Schrei.“ Hope und ihre Zwillingsschwester mussten über seine verschmitzte Miene lachen. Mr. Reyne räusperte sich. Lady Elinore bedachte Giles mit einem kühlen Blick, dann rümpfte sie die Nase. „Folgen Sie mir bitte.“ Sie allen voran betraten sie die Tothill-Fields-Anstalt für Mittellose Mädchen.
„Und hier ist der Speisesaal, wo die Mädchen ihre Mahlzeiten einnehmen. Drei nahrhafte Mahlzeiten täglich.“ Der Raum war riesig, karg und sehr sauber und mit zwei langen, geschrubbten Holztischen samt dazu passenden Bänken möbliert.
Hope hörte ihre Schwester seufzen und wusste, warum. Die Besichtigung erwies sich als ziemlich deprimierend. Das Waisenhaus war völlig respektabel, aber dabei furchtbar grimmig und beklemmend. Bald war es Zeit für das Abendessen; ein scharfer Geruch von lang gekochtem Gemüse drang aus der angrenzenden Küche.
Mr. Bemerton schnupperte. „Kohl“, verkündete er düster. „Kann Kohl nicht ausstehen. Wir bleiben nicht zum Essen, oder?“ Seine sonnige Laune schien rasch zu schwinden.
„Ganz bestimmt nicht“, erwiderte Lady Elinore.
Zwei kleine Mädchen in grauen Kleidern und weißen Schürzen, die ihnen ein bisschen zu groß waren, und deren Schritte in klobigen glänzenden Stiefeln laut klapperten, deckten die Tische: einen Löffel, eine flache Schale und einen Becher mit Wasser für jedes Kind. In der Mitte jedes Tisches stand ein Teller mit mehreren Scheiben trockenen Brotes. Vermutlich waren Brot und Suppe die einzigen Gerichte auf dem Speiseplan. Nachdem sie ihre Arbeit erledigt hatten, verschwanden die Mädchen wieder in der Küche. Sie hatten kein einziges Wort gesprochen. Hope hatte noch kein Kind hier reden hören, geschweige denn lachen. Es kam ihr unnatürlich vor.
Lady Elinore erklärte: „Alle Mädchen übernehmen der Reihe nach Küchen-, Spül- und Wäschedienst. Neben einem Beruf lernen die Mädchen so auch Reinlichkeit und gutes, einfaches Essen zu kochen.“
Das kleinere der beiden, ein dünnes Mädchen mit zu zwei festen Rattenschwänzen geflochtenem dunklem Haar, kam wieder aus der Küche, zwei kleine Schüsselchen in den Händen. In jeder lag ein winziges Stück Butter und ein Klecks rötlicher Marmelade. Sie trug sie sehr sorgfältig, als seien sie kostbar oder zerbrechlich, aber die Schälchen waren aus demselben robusten, hässlichen Steingut wie das Geschirr auf dem Tisch, und die Butter war nur ein armseliges Scheibchen, das es in Hopes Augen kaum aufzutun lohnte. Mit größter Sorgfalt, die Zunge in die Zahnlücke gesteckt, während sie sich auf ihre Aufgabe konzentrierte, stellte sie das eine Schälchen genau in die Mitte des zweiten Tisches und das andere neben den dritten Platz vom unteren Ende des ersten Tisches. Es war eindeutig, dass jedes Butterschälchen für ein bestimmtes Mädchen gedacht war.
Hopes Neugier war geweckt. Es gab kaum genug Butter und Marmelade in dem Schälchen für eine kleine Scheibe Brot. Warum erhielten nur zwei von so vielen Mädchen ein Flöckchen Butter und einen Klecks Marmelade? War es eine Art Belohnung?
Das kleine Mädchen drehte sich zur Küche um. „Entschuldigung“, rief Hope. „Kleine?“
Das Kind erstarrte und wandte sich mit großen, besorgten Augen zu den Besuchern um, blickte nervös zu Lady Elinore.
„Darf ich mit ihr reden?“, fragte Hope.
„Natürlich.“
Hope ging zu dem Mädchen und kniete sich neben sie. „Guten Tag“, sagte sie sanft, denn die Kleine knetete
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