Ein Mann für eine Nacht (German Edition)
füttern.
Sie lehnte den Briefumschlag an einen Strauß welkender Blumen auf dem Küchentisch. So, jetzt konnte er vor sich hinschmoren.
Der arme Blackie schien beleidigt, als sie ihre Sachen in den Kofferraum packte. Es war, als ob er ahnte, dass es kein Zuckerschlecken werden würde, allein mit Simon zu Haus zu bleiben. Claire schnallte Andrew in seiner flauschigen gelben Jacke auf dem Kindersitz fest. Dreieinhalb Stunden später traf sie in Limerick ein.
Ihre Mutter war am Durchdrehen, weil das Gästezimmer noch nicht fertig war. Sie hatte alle Fenster aufgerissen, um durchzulüften. Claire fröstelte. Es war eisig.
Ihre Schwester Aileen lag mit einem großen grünen Handtuchturban auf dem Wohnzimmerboden und mampfte Kartoffelchips. „Claire!“ Ihr großes pausbäckiges Gesicht strahlte, als sie ihre Schwester sah. „Andrew, ei, dei, dei, du kleines Engelchen. Hier ist deine Tante Aileen. Ja, du Kleiner, deine Tante ist das.“
„Aileen, kannst du dich heute noch mal anziehen, du faules Stück“, bellte Claires Mutter. „Ehrlich, Claire, du kommst schrecklich unpassend. Ich mag es nicht, wenn du alle so aus dem Trott bringst. Aileen muss für ihr Examen lernen, und auch dein Herr Bruder will das Abi bestehen.“
Aileen schnitt hinter dem Rücken ihrer Mutter eine Grimasse. „Wir reden später“, sagte sie. „Ich verstehe gar nicht, warum du überhaupt noch herkommst? Sobald ich hier raus bin, werde ich keinen Fuß mehr in dieses Haus setzen.“
Schon komisch, dachte Claire, wenn man von zu Hause weg war, bildete man sich ein, dass man seine Familie vermisste und sie einen auch. Aber in Wirklichkeit hatte wahrscheinlich keiner gemerkt, dass man überhaupt ausgezogen war.
Mrs. Fiscon kniff Andrews Wange und runzelte die Stirn.
„Er ist sehr dünn.“
„Er ist nicht dünn.“ Claire machte ein finsteres Gesicht. „Er ist gerade richtig.“
„Gibst du ihm die richtige Nahrung?“
„Natürlich.“
„Du darfst ihm nicht zu viel Zucker geben“, ihre Mutter hatte das Thema noch nicht beendet. „Ich habe diesen Fehler bei Aileen gemacht, und jetzt sieh sie dir an. Stopft allen möglichen Mist in sich hinein.“
„Mum, sie lernt fürs Examen“, widersprach Claire.
„Alle fünf Minuten kommt sie runter und steckt den Kopf in den Kühlschrank. Die beiden treiben mich in den Wahnsinn.“
„Arme Mum. Du bist fix und fertig.“
„Du siehst aber auch etwas fertig aus.“
Sie nahm eins der weißen Oberhemden und breitete es auf dem Bügelbrett aus. „Wann warst du eigentlich das letzte Mal beim Friseur?“
„Mum, ich komm zu nichts anderem, als auf Andrew aufzupassen und ...“
„Ich habe fünf Kinder groß gezogen und nie meinen wöchentlichen Friseurtermin verpasst.“ Ihre Mutter tippte auf ihren frisch frisierten rotbraunen Bubikopf. „Und das Geld, das ich dir gegeben habe? Hast du dir etwas Hübsches gekauft?“
„Nein“, gab Claire schuldbewusst zu.
„Du musst dich am Riemen reißen, Claire. Du bist erst dreißig und noch keine fünfzig. Komm mal zur Besinnung.“
Claires Vater stapfte aus der Kälte herein und warf Hut und Mantel auf den Küchentisch. „Claire“, begrüßte er seine älteste Tochter.
„Dad“, erwiderte sie den Gruß. Bei den Fiscons nahm man sich nicht in den Arm. Plötzlich dachte Claire an Annas Zuhause, wo die Wände mit Familienfotos tapeziert waren. Die Bilder an den Wänden hier zeigten Kühe und Schafe und trübselig blickende Heilige.
„Er ist mir aus dem Gesicht geschnitten.“ Mr. Fiscon nahm seinen einzigen Enkel und warf ihn in die Luft. Claire wollte gerade protestieren, als sie Andrew vor Freude kreischen hörte. „Er wird mal ein guter Rugbyspieler.“ Claires Vater hatte früher für Irland Rugby gespielt und war in der Gegend eine Art Rugbyheld. Sein Sohn Mickey hatte ihn schwer enttäuscht. Der hatte nämlich ganz andere Interessen, beschäftigte sich mit Lyrik und Jazz und anderen hochgeistigen Dingen und sah nicht ein, weshalb erwachsene Männer hinter einem Ball herlaufen sollten.
„George, häng deinen Mantel auf, das Essen ist fertig.“ Ihr Mann räumte gehorsam den Tisch frei. Aileen wurde gerufen. Mickey war nicht aufzufinden. Wie gewöhnlich. Er fand
Familienessen ätzend.
„Hast du auch dafür gesorgt, dass Simon genug zu essen im Haus hat?“, fragte ihre Mutter zwischen zwei Happen von ihrem Shepherd’s Pie.
„Natürlich“, schwindelte Claire. Aber natürlich hatte sie das nicht getan. Simon sollte ja unter
Weitere Kostenlose Bücher