Ein Mann - Kein Wort
Stück eigene seelische Nachreifung schon hinter sich hat. Allerdings pflegen christliche Kreise oft auch eine »Kultur der Verdrängung« – der Intellekt wird permanent mit klugen geistlichen Sprüchen überfrachtet, doch die Emotionalität bleibt unentwickelt und dementsprechend oft reichlich infantil …
Was hat das alles mit dem Anliegen meines Buches zu tun? Ganz einfach: Wer nicht kritisch über sich selbst und seine Gefühle nachdenken möchte, weil er meint, der Glaube oder das Gebet enthebe ihn dieser Mühen, dem passiert über kurz oder lang Ähnliches, wie es Scazzero in beeindruckender Offenheit in seinem Buch schildert. Eines Tages kam seine Frau zu ihm und sagte: »Peter, es ginge mir besser, wenn ich allein wäre … Ich liebe dich, aber ich weigere mich, weiter so zu leben … Ich will etwas aus meinem Leben machen.« 88
Erst dieser Schock der drohenden Trennung von seiner Frau war es, der Scazzero dazu brachte, über die Kluft zwischen seinem christlichen Anspruch – auch als Partner – und der von seiner Frau erlebten Realität ihrer Beziehung intensiver nachzudenken. Dies war nicht möglich, ohne Hilfe von Dritten in Anspruch zu nehmen. Er merkte, dass sein Glaube ihn nicht
in seinen emotionalen Tiefenschichten und familiären Prägungen
verändert hatte – sie waren im Großen und Ganzen immer noch das Produkt seiner Herkunftsfamilie 89 .
Und darin lag das Problem. Dieser Mann begriff schließlich, dass es das dringende Anliegen eines glaubenden Menschen sein muss, zu einem reifen Umgang mit sich selbst und den eigenen Gefühlen zu gelangen, weil nur dies auch zu einer reifen Spiritualität führt. Dass das ein weiter und mitunter schmerzlicher Weg sein würde, war ihm klar, doch was er sagt, würde ich aus eigener Erfahrung bestätigen: Der Weg lohnt sich, denn wir müssen ihn nicht allein gehen – Gott selbst unterstützt uns in diesem Veränderungsprozess, wenn wir dafür aufgeschlossen sind. Und es unterstützen uns hoffentlich aufrichtige, klar sehende Mitbrüder und -schwestern und nicht zuletzt: unser Partner. Aber es gilt, was schon Goethe so treffend bemerkte: »Gott gibt die Nüsse, aber er knackt sie nicht auf!«Abschließend seien zwei Texte zitiert. Der erste ist eine Meditation des deutsch-kanadischen Dichters Ulrich Schaffer, die Ihnen vielleicht manchmal hilft, sich klarzumachen, worum es letzten Endes geht. 90
Das schöne schwere Miteinander
1
Ich habe Schwierigkeiten
mit diesem Menschen zu reden und zu leben
denn wir sind so verschieden
und missverstehen uns ständig.
Ich kann nicht wirklich ich sein
ich muss mich ändern und anpassen
vorgeben, jemand zu sein, der ich nicht wirklich bin
und das ist anstrengend.
Ich möchte am liebsten davonlaufen.
2
Ich sehe, dass es dem andern
mit mir genau so geht
wie mir mit ihm.
Beenge ich ihn so wie er mich?
Verliert auch er seine Freiheit in meiner Gegenwart?
Möchte er auch am liebsten davonlaufen?
Das gibt mir zu denken.
3
Ich untersuche meine Motive ihm gegenüber
und die Regungen, die ich sonst kaum merke
und ich stelle fest, dass ich ihn oft anders haben will,
als er ist,
und anders, als er vielleicht sein kann.
Ich lege einen Druck auf ihn
mit meinen Erwartungen
und er sträubt sich ganz natürlich dagegen
wie ein Mensch, der seinen eigenen Weg gehen will.
Es muss nicht leicht sein, mit mir zu leben.
4
Sind wir am Ende nicht alle so?
Sind wir nicht alle in gewisser Weise
engstirnig
verbohrt
rechthaberisch
und manchmal unausstehlich?
Sind in uns nicht genug Zeichen des Falls
des Abfalls von Gott
die das Leben miteinander unmöglich machen?
5
Nein
Ich bin nicht bereit, so leicht aufzugeben
aber ich weiß, dass ein fester Entschluss,
ein entschiedener Wille nötig sind,
um zum anderen zu finden.
Ich will dein Leben mit dir teilen
ich will mein Leben mit dir teilen
auch wenn es schwer wird.
Ich bin bereit, deinen Erwartungen zu begegnen
nicht unbedingt zu tun, was du wünschst,
aber doch an deine Erwartungen zu denken
wenn ich mein Leben überprüfe.
Wenn auch du den Willen zu mir hast,
wenn auch du bereit bist,
die Schwierigkeiten eines engen Verhältnisses auf dich zu nehmen,
wenn du auch Ja sagst
zu all dem Schweren und Unerlösten zwischen uns,
dann haben wir eine echte Chance
und eine wirkliche Hoffnung,
eine Freundschaft herzustellen,
die reicher ist als viele andere Freundschaften,
weil wir mehr überbrücken müssen,
aber darum auch mehr einschließen können
in unsere Freundschaft.
Der zweite Text ist ein
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