Ein Mann von Ehre
„Auch du hast fast dein Leben für mich hergegeben. Lord Marlowe hat recht. Ich hätte dir gehorchen und in der Nähe des Hauses bleiben sollen. Verzeihst du mir, Rajib?“
„Es ist meine Pflicht, Eure Hoheit zu beschützen“, antwortete Rajib. „Ich weiß, das ärgert Sie, aber Ihr Vater hat mir aufgetragen, auf Sie zu achten.“
„Vielen Dank. Bitte, stütz dich auf mich, Rajib, und leg den anderen Arm auf Miss Eastleighs Schultern.“
„Das schickt sich nicht, Memsahib.“ Rajib zauderte. „Außerdem beflecke ich Ihre Sachen mit meinem Blut.“
„Dann kaufe ich mir einen neuen Morgenmantel“, erwiderte sie. „Also tun Sie, was Seine Hoheit Ihnen gesagt hat. Wir müssen Sie nach Haus bringen, damit Sie nicht verbluten, und möglichst schnell, falls die Angreifer zurückkehren sollten.“
„Sie werden sich nicht wieder blicken lassen“, meinte Rajib. „Es macht Ihnen Schande, dass sie vor einer Frau davongerannt sind. Nein, sie kommen nicht zurück. Andere werden an ihrer Stelle herkommen. Seine Hoheit ist hier nicht mehr sicher. Er wird so lange nicht in Sicherheit sein, bis sein Vater einen anderen Thronfolger bestimmt hat.“
„Lord Marlowe wird mich fortbringen“, sagte Jared. „Sobald er erfahren hat, was passiert ist, wird er mich irgendwo hinbringen, wo niemand mich finden kann.“
Helle Aufregung hatte in Orford Hall geherrscht, nachdem Rajib ins Haus gebracht worden war. Damian hatte sogleich den Arzt holen lassen und Nessa aufgetragen, sich bis zu dessen Eintreffen um Rajib zu kümmern.
Erschüttert hatte er sich von Rosalyn berichten lassen, was geschehen war, und dann darauf bestanden, sie nach Haus zu begleiten. Sie hatte ihm jedoch vorgehalten, er werde hier in Orford Hall benötigt, und sichtlich widerstrebend war er damit einverstanden gewesen, dass sie allein heimkehrte. Beim Abschied hatte er ihr noch versprochen, er werde abends gegen halb elf in ihren Obstgarten kommen, um mit ihr zu reden.
Natürlich gelang es ihr nicht, unbemerkt in ihr Zimmer zu kommen. Maria und Frederick befanden sich mit den Dienstboten in der Halle, die alle viel Lärm veranstalteten, jedoch nichts taten.
Maria gab einen schrillen Schrei von sich. „Du bist verletzt!“, rief sie entsetzt, als sie die Blutflecken auf dem Morgenmantel der Cousine bemerkte. „Oh, ich habe es gewusst! Das ist alles Sarahs Schuld! Wäre sie zu deinem Bruder gegangen …“
„Was ist hier los?“, unterbrach Frederick Maria unwirsch.
„Sheba ist tot. Schick jemanden auf die Weide hinter dem Obstgarten, Freddie, der den Hund herbringt. Ich lasse Sheba in Mamas Rosengarten begraben. So, und nun will ich mich umziehen.“
„Sheba ist bereits gefunden worden und inzwischen im Stall“, erwiderte Frederick. „Was ist passiert, Rosalyn? Wir haben befürchtet, du seist entführt worden.“
„Vaters Pistole habe ich es zu verdanken, dass weder ich noch Prinz Jared entführt wurden“, antwortete Rosalyn. „Aber Rajib wurde verletzt. Seine Hoheit und ich haben ihn nach Lyston House gebracht. Es tut mir leid, dass ihr euch grundlos Sorgen um mich gemacht habt.“
Rosalyn bemerkte Mrs. Jenkins und deren Bruder, die schweigend im Hintergrund der Eingangshalle standen. Mrs. Jenkins’ Blick war missbilligend, und der Ausdruck in den Augen ihres Bruders verursachte Rosalyn ein inneres Frösteln.
„Ich muss mich für mein Aussehen entschuldigen“, fuhr sie fort und erklärte, warum sie so unpassend bekleidet war.
„Wenn es stimmt, was Sie sagen, haben Sie sich sehr mutig und selbstlos verhalten“, äußerte Patricia säuerlich. „Ich kann nur hoffen, dass Ihr guter Ruf jetzt keinen Schaden genommen hat. Falls jemand Sie in diesem Aufzug gesehen hat …“
„Du bist zu streng, Patricia“, warf ihr Bruder ein. „Ich bewundere Miss Eastleigh und finde es anerkennenswert, wie sie die Angreifer in die Flucht geschlagen hat.“
„Ich hätte nicht gezögert, sie zu erschießen, wäre ich näher bei ihnen gewesen“, versicherte Rosalyn und zeigte den Anwesenden die kleine Pistole. „Das ist eine Espagnola mit mehreren Kugeln, sodass man sechs Schüsse abgeben kann.“
„So eine habe ich auch“, sagte Bernard. „Wie mutig von Ihnen, Miss Eastleigh, eine solche Waffe in die Hand zu nehmen. Sie hätten sich damit umbringen können.“
„Wie Sie sehen, habe ich das nicht getan.“ Die Art, wie Mr. Harrington sie anschaute, erzeugte ihr großes Unbehagen. Sie war sich bewusst, dass er sie lüstern musterte.
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