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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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eine tropische Frucht. Wie dem auch sei, Scott fragte Jay-Bee, wie es ihm ging, sie nickten einander zu. Und dann fragte er mich, wie ich mit meinen Bibelstudien vorankäme, er stellte mir Fragen über meine Lektüre, er wollte wissen, was ich so dachte. Zu der Zeit war ich noch nicht zum Neuen Testament gewechselt, oder vielmehr entschied ich mich gleich danach erst mal fürs Neue Testament, ich war gerade ins Buch Jeremia vertieft, also redete ich über Jeremia, ich redete davon, wie Gott Jeremia sagte, er sollte einen Leinengürtel am Euphrat verstecken, nur um seine Meinung über das Volk Juda klarzumachen, das schien unheimlich viel Arbeit zu sein, nur um das zu präsentieren, was die Lehrer in Madera Anschauungsmaterial genannt hatten. Scott verwies darauf, dass Gott im Alten Testament alle möglichen Dinge von den Propheten verlangte, Dinge, die er selber mit einem Schnippen seiner heiligen Finger hätte machen können. Scott dachte, es hatte damit zu tun, allen zu zeigen, wer das Sagen hatte. Jay-Bee rutschte
auf seinem Sitz rum, er sagte, damit würde sich Scott ja auskennen. Scott sagte nichts zu Jay-Bee, er meinte nur, dass er sich darauf freute, mit mir über Jesus zu sprechen, er interessierte sich für meine frische Perspektive auf das Material, seine Worte. Nachdem Scott weggegangen war, sagte Jay-Bee, der ja schließlich meinen Beitritt zur Leuchtturmgemeinde ermöglicht hatte, ich könnte stolz darauf sein, dass sich Scott für meine Gedanken interessierte, dass Scott ein unglaublicher Vorsteher war, und es war ihm eine Ehre, für ihn Dinge möglich zu machen, und dass niemand, selbst er nicht, je so schnell Scotts Aufmerksamkeit in diesem Maße gewonnen hatte wie ich. Jay-Bee sagte, er selbst hätte ein Vorsteher von Scotts Kaliber werden können, wenn er sich nicht Gottes Wort zu Herzen genommen hätte. Er hätte seine eigene großartige Kirche gründen können, aber das war es nicht, was der Herr mit ihm vorhatte, der Herr wollte, dass er ein Vermittler wird, ein demütiger Vermittler, jemand, der hinter den Kulissen arbeitete, um Menschen zusammenzubringen, was er getan hatte, indem er Scott und mich zusammengebracht und damit ermöglicht hatte, dass ich Scotts Aufmerksamkeit gewann. Jay-Bee sagte, er hätte verstanden, dass Demut viel wichtiger war als Macht, für ihn jedenfalls, und dass Scott alle Macht haben könnte, die er wollte. Seine Macht würde ihm im Jenseits sowieso nichts bringen, Jay-Bees Worte. Mir fiel nicht auf, es hätte mir auffallen müssen, dass alles, was Jay-Bee sagte, immer eine Kehrseite hatte.

    Irgendwo geht ein Alarm los. Deine Mutter ist wach. Sie hat so friedlich geschlafen. Geht's dir gut, mi Amor? Das Piepsen kommt von nebenan. Ich wünschte, du könntest sehen, was hier los ist, Juan-George. Die ganze Nacht war es auf der Station ruhig, nur ein Fernseher lief irgendwo weit weg, man konnte mich leise mit meinem Kassettenrekorder hören, die Ausflüge deiner Mutter aufs Klo, das Brummen der Luft oder der Autobahn oder von beidem. Jetzt ist der Flur voll mit Licht und Schwestern, keine Ahnung, woher die alle kommen. Ein schläfriger Arzt, der Nachtarzt, ich kenne ihn, er war ein Jahr über mir in der High School, sein Haar steht hinten hoch, er geht schnell, mit schwingenden Armen wie ein Affe. Der Alarm ist immer noch an. Was ist da los? Deine Mutter schaut mal nach. Ich kann meinen Kopf nicht weit genug drehen, um zu sehen, wohin sie gegangen ist. [Stille. Carmens Stimme, leise. Entfernter Tumult. Jemand ruft: Weg vom Bett! Summen.]

    Ich besuchte Jay-Bee nach seinem Unfall, ich nahm den Bus, saß wie immer vorn, und hatte meinen Kassettenrekorder dabei. Auf dem einen Ohr hörte ich die Bibel und auf dem anderen die Welt. Jay-Bee war notoperiert worden und lag jetzt auf der Intensivstation, ich sagte ihm, ich würde für ihn beten, für eine schnelle Genesung, aber er schien mich nicht zu sehen. Er murmelte etwas in Richtung Fußende seines Bettes, aber da war niemand.

    Später fragte ich Scott, ob er Jay-Bee schon besucht hatte, und er schaute mich sehr ernst an und sagte, er hatte Jay-Bee
schon zu oft besucht. Ich fragte ihn, wie das möglich war, denn Jay-Bee war doch erst einen Tag im Krankenhaus. Scott erklärte, er wäre immer eingesprungen, um Jay-Bee aus irgendeinem Problem herauszuhelfen, aber Jay-Bee hatte es geschafft, immer neue Schwierigkeiten zu bekommen. Ich verstand nicht, warum das so sein sollte, wie das passieren könnte. Beim nächsten Termin

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