Ein Mann von Welt
wahrscheinlich mit der großen Kette unbeabsichtigter Konsequenzen zu tun, aber es stellte sich heraus, dass Tante Liz' Berufung im Leben mich davon abhielt, meine zu verfolgen.
In dieser Nacht lag ich auf meiner aufblasbaren Matratze und atmete meine eigene Luft, alle möglichen Gedanken schwirrten mir in meinem ansonsten leeren Kopf herum, und ich dachte an eine gewisse Person, die einen gewissen Laden in der Nähe der Leuchtturmgemeinde betrieb. Weißt du, ein erheblicher Teil meines Lohns ging nämlich für die häufigen geheimen Erörterungen von vergangenen, aktuel
len und zukünftigen Ereignissen drauf, und die Person, mit der ich diese Ereignisse besprach, gab mir sehr viel mehr Einsichten in die Funktionsweise der menschlichen Seele als der sogenannte professionelle Dr. Armando Rosenkleig, und die Gespräche selbst, die Durchführung dieser Gespräche, führten zu einer sehr viel intensiveren spirituellen Erfahrung als alles, was ich je in der Leuchtturmgemeinde gefühlt hatte. Es waren ihre Händen, Juan-George, es waren ihre Hände auf meinen Händen, ihre Augen in meinen Augen, es war fast egal, worüber wir sprachen, solange ihre Augen fest in meine schauten und sie die Linien und Beulen meiner Handteller ertastete. Da wirst du sicher verstehen, Juan-George, warum ich einen Appell an diese Person richtete, warum ich versuchte, meine Gedanken auf sie zu übertragen, warum ich die Hoffnung hatte, dass sie mich von allen Menschen am besten beraten könnte. Es war eine Form des Gebets, das ist mir jetzt klar, nicht alle Gebete sind an Gott gerichtet. Ich wollte, ich traue mich nicht, ihren Namen auszusprechen, deine Mutter wacht sofort auf, wenn dieser Name erwähnt wird, ich wollte, dass sie, diejenige, die mich in Versuchung geführt hatte, wie man so sagt, ich wollte, dass sie mich fortschafft, dass sie mich aus dem Gewirr von unsichtbaren Linien und unsichtbaren Zäunen befreit, ich wollte mit ihr zusammen sein, und noch viel mehr wollte ich, ich wusste damals nicht, wie ich das ausdrücken sollte, aber jetzt würde ich sagen, ich wollte, ich musste mich von Tante Liz' Herrschaft befreien, raus aus den Grenzen dieses Ringbuchs.
Ein Klopfen an meinem Fenster weckte mich. Es war eine dieser Nächte, wo der Wind erst loslegt, wenn die Sonne untergegangen ist, eine dieser Nächte, wo man im Dunkeln von Geräuschen aufwacht, die so klingen, als würde die Welt in Stücke gerissen, und deshalb dachte ich erst, dass ein Zweig gegen mein Fenster schlagen würde, was in Madera ständig passierte, und in meinem halb wachen Zustand dachte ich, ich wäre zurück in Madera und ein Madera-Ast würde gegen mein Madera-Fenster schlagen. Nachdem ich die Leiter des Bewusstseins hochgestiegen war, so nenne ich das gern, wurde mir klar, erstens weil die Luftmatratze so nachgab und zweitens vom Geruch in der Luft, diesem Frischegeruch von Tante Liz' Raumspray, wurde mir klar, dass ich nur an einem Ort sein konnte. Aber dann konnte das kein Ast an meinem Fenster sein, keiner der Bäume von Tante Liz hatte irgendeine Chance, das Haus zu berühren, sie hatte sie alle ordentlich weit weg vom Haus gepflanzt, und sie wurden regelmäßig beschnitten. Das eine Mal, als sie uns in Madera besucht hatte, du kannst dir vorstellen, was sie von unserem Fleckchen Wildnis hielt, die eine Sache, die ihr am meisten auf den Keks ging, ihre Worte, waren die Bäume, die direkt am Haus standen, was für sie geradezu eine Plakatwand der Unwissenheit repräsentierte, nur Unwissende ließen Bäume so nah am Haus wachsen, so kamen Ratten und Eichhörnchen rein und bauten Nester, so konnten Feuchtigkeit und Schimmel sich einnisten, und zudem war es, was ja für jeden ganz offensichtlich sein sollte, eine Feuergefahr. Langsam kam es mir, da musste jemand sein, ein Mensch, der an das Fenster klopfte. Ich erinnerte mich an meine Ge
bete. Ich wagte nicht einmal, auch nur den Anfang ihres Namens auszusprechen. Ich rollte mich von der Luftmatratze runter auf den Boden, meine Beine waren in der Bettwäsche verheddert. Ich rannte durchs Zimmer zum Lichtschalter und machte ihn an, aber dann konnte ich nicht aus dem Fenster sehen, ich sah nur mein Spiegelbild. Ich machte das Licht wieder aus und ging zurück zum Fenster. Es dauerte einen Moment, bis meine Augen sich umgestellt hatten, ich war vom Licht geblendet worden. Dann sah ich, dass die Person da draußen nicht die war, für die ich gebetet hatte, sondern Paul Renfro.
TEIL VIER
Kassette 6, Seite
Weitere Kostenlose Bücher