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Ein Mann von Welt

Ein Mann von Welt

Titel: Ein Mann von Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine Wilson
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anging, aus dem, was ich ihm gesagt hätte, würde sie wie eine Brutstätte spiritueller und philosophischer Perversität klingen. Die Offenbarung einer ewigen Seele wäre ein Anlass, Bier zu trinken und den Himmel anzuschauen, Pauls Worte, denn das Wort ewig bedeutete vor allem, dass wir Zeit hatten. Aber in der Leuchtturmgemeinde schien die
Offenbarung einer ewigen Seele zur gegenteiligen Reaktion geführt zu haben, nicht zu einem Gefühl von sich erweiternder Zeit, sondern einer zusammenfallenden Zeit und einem überwältigenden Gefühl der Dringlichkeit. Was verwirrend war, vollkommen verwirrend, er konnte sich auf der ganzen weiten Welt nichts Verwirrenderes vorstellen. Und zudem, sagte Paul, der Leuchtturm als Symbol wäre selbst vollkommen unverständlich. Jemand hatte es zu einer Art christlichem Leuchtfeuer deklariert, aber ein Leuchtturm war nichts, was einem zum sicheren Hafen leitete, ein Leuchtturm war etwas, was man unter allen Umständen vermeiden wollte, von einem Leuchtturm hielt man sich fern, damit man mit seinem Schiff nicht an den Klippen zerschellte. Die perverseste Botschaft, die ein Leuchtturm je aussenden könnte, Pauls Worte, wäre: komm her und lass dich retten.

    Ich sagte Paul, ich hatte schon mehr als genug über das Leben gelernt, in das sie mich hineinpressen wollten, ich wollte meinen Job im Fastfood-Restaurant aufgeben, ich wollte meine Sitzungen bei Dr. Rosenkleig aufgeben, ich wollte nie mehr zur Leuchtturmgemeinde zurückgehen, ich wollte dahin gehen, wohin ich wollte, und tun, wozu ich Lust hatte, und unternehmen, was auch immer nötig war, was auch immer nötig sein würde, um ein Mann von Welt zu werden. Paul erhob seine Hände warnend. Alle Aspekte von Tante Liz' Plan standen in direktem Konflikt mit den Grundrechten des Menschen, sagte er, niemand könnte das in Zweifel ziehen. Aber er erinnerte mich daran, dass es eine Zeit zum Planen, eine Zeit zum Verwirklichen, eine Zeit zum Be
denken, eine Zeit zum Überdenken und eine Zeit zum Biertrinken und den Himmel Anschauen gab, und das hier war eine Zeit zum Planen und Bedenken, noch keine Zeit zum Verwirklichen. Unser Ziel war Homöostase, sein Wort. Ich wusste nicht, was Homöostase war, und sagte das auch. Zuerst mal, sagte er, brauche ich eine Unterkunft. Die Regierung hatte ihm sein ganzes Geld weggenommen, also konnte er nicht irgendwo ein Zimmer mieten, und auf der Straße zu leben kam nicht in Frage. Tante Liz würde ihn ganz bestimmt nicht bei uns wohnen lassen. Wir überlegten, ob er vielleicht in der Gartenhütte schlafen könnte, aber der Gärtner, der ja auch professionell war, würde ihn verpetzen, keine Frage. Wir überlegten, ob er auf dem Dach des Hauses schlafen könnte, aber in unserem Viertel flogen ständig Polizeihubschrauber rum, die würden ihn bestimmt entdecken. Dann erinnerte ich mich an die Zugangsklappe in der Kammer. Ich hatte mal meinen Kopf da durchgesteckt, als ich frisch aus Madera angekommen war, ich hatte unter der Klappe gestanden und sie geöffnet und war hochgesprungen, so dass ich mit dem Kopf durch die Öffnung kam. Ich hatte einen kurzen Blick in den Raum über meinem Zimmer erhascht. Es war kein Speicher, es gab keinen Platz für einen Speicher, es war eine hölzerne Zwischendecke, man konnte da nur kriechen, ich sah das Spitzdach und die Isoliermasse, und alles war voller Heizungsrohre und Drähte, aber wir hatten, wie man so sagt, keine Alternative. Ich machte mit den Händen eine Räuberleiter und hob Paul hoch, damit er sich alles anschauen konnte. Er zog sich allein hoch, was ich nicht erwartet hatte, ich hatte nicht gedacht, dass er
das überhaupt konnte, er war stärker, als er aussah. Er bat mich um seine Aktentasche und eine Taschenlampe. Tante Liz hatte eine Werkzeugschublade in der Küche, nicht, dass sie je etwas selbst repariert hätte, da sie sich ja in allem auf Profis verließ. Ich holte eine Taschenlampe und brachte meinen Schreibtischstuhl in die Kammer. Man weiß eben nie, wann etwas Nutzloses doch einmal nützlich ist. Ich konnte nie auf dem Stuhl sitzen und gleichzeitig meine Beine unter dem Schreibtisch haben, der Stuhl war zu hoch, oder der Schreibtisch war zu niedrig, und keins von beiden war verstellbar. Ich hatte einen Plan, wie man die Beine des Schreibtischs verlängern könnte, aber nach Tante Liz' Reaktion auf meinen Wunsch, das Bett anzupassen, hatte ich diesen Plan aufs sogenannte Eis gelegt. Aber für diesen Zweck war die Höhe des Stuhls ideal. Ich stand

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