Ein Mann von Welt
war schließlich sein Kerngeschäft, wie man so sagt. Ich bin kein Lügner, ich sage eigentlich immer die Wahrheit, aber als Dr. Rosenkleig mich an diesem Tag fragte, wie es mit meiner klinischen Studie laufen würde, wusste ich, was er hören wollte, und ich präsentierte ihm die passenden Worte wie Pommes auf einem Tablett. Ich sagte ihm, der klinische Versuch würde überraschend gut laufen, ich sagte ihm, Tante Liz hätte die richtigen Entscheidungen für mich getroffen. Ich erzählte ihm, wie stolz ich wäre, dass ich Mitarbeiter des Monats geworden war, ich verwandte einige von Roger Macaronas früheren Worten, um meiner Überraschung Ausdruck zu verleihen, ich erzählte ihm, wie viel es mir bedeutete, einen Job und Aufgaben zu haben, die wirklich meine waren. Wie gern ich eines Tages auch Manager wäre, und wie viel es mir bedeutete, Teil der großen Fastfood-Restaurant-Familie zu sein. Das alles hatte ich einmal geglaubt, ich weiß nicht wie lang, oder wann ich aufhörte, das zu glauben, aber ich glaubte es nicht mehr. Trotzdem erzählte ich Dr. Rosenkleig, dass ich es noch glaubte. Ich erzählte ihm, dass ich durch die Leuchtturmgemeinde eine spirituelle Seite von mir entdeckt hätte, von der ich vorher nichts gewusst hätte, und dass ich eine tiefe Verbindung zu so vielen in dieser lebendigen christlichen Gemeinschaft spürte, dass ich gar nicht mehr das Bedürfnis hätte,
neue Freunde kennenzulernen. Kurz gesagt, ich erzählte ihm genau das Gegenteil von dem, was ich wirklich fühlte und dachte, ich verwendete genau die entgegengesetzten Worte, auch weil ich wusste, dass Tante Liz es erfahren würde, und weil ich wusste, dass sie sich darüber freuen würde, erzählte ich Dr. Rosenkleig als Letztes, wie schön es wäre, an einem Ort zu sein, wo mich niemand wie einen Dorftrottel behandelte.
Nachdem mich Tante Liz nach Hause gefahren hatte, ging ich an diesem Nachmittag zum ersten Mal hoch unters Dach. Die Zugangsklappe war kaum groß genug für mich, aber irgendwie schaffte ich es, meine Ellenbogen im Zaum zu halten und mich hochzuziehen. Als ich oben war, traute ich meinen Augen nicht. Paul hatte den Raum vollkommen verwandelt. Es war, als wäre seine Aktentasche, in der ja schon immer mehr drin war, als man je für möglich gehalten hatte, auf einen Schlag explodiert. Überall Papier, an die Balken geheftet, zwischen die Zapfen gequetscht, in allen Ecken aufgehäuft. Die zehn, elf Stecknadeln, die ich von Tante Liz' Pinnwand requiriert hatte, waren auf geradezu abenteuerliche und fast schon kunstfertige Weise eingesetzt, jede von ihnen steckte in den Ecken von unzähligen Seiten, Diagrammen, Aufstellungen und Notizen. Es roch stark nach dem Essen vom Fastfood-Restaurant. Der Wasserbehälter stand in der Ecke, offen, ein Blatt Papier lag darüber. Irgendwo hatte Paul eine bunte Lichterkette für den Weihnachtsbaum gefunden und sie in die Extrasteckdose für den Ventilator der Klimaanlage gesteckt. Ich fragte ihn, ob er nicht lieber
eine normale Lampe hätte, ich konnte ihm wahrscheinlich eine besorgen, und er sagte, er bevorzugte die Lichterkette. Zuerst hatte sie ihn gestört und war ihm zu festlich für nüchternes Denken erschienen, aber dann wurde ihm klar, dass all die Farben zusammen Weiß ergaben und dass die Trennung der Farben ihm dabei half, das brillante weiße Glühen der Offenbarung in individuell farbige Gedankenbänder aufzuspalten. Der Raum hatte sich als eine Wohltat für fortgeschrittenes Denken erwiesen, wie er das schon immer vermutet hatte, denn der Dachboden war ja der Schädel des Hauses. Das einzige Problem war der Zugang zum Klo, er musste irgendwie ins Bad und zurück kommen, ohne irgendwelche Spuren zu hinterlassen, und das hieß, ohne den Schreibtischstuhl am Ende mitten in der Kammer stehen zu lassen. Er hatte in das Überlaufbecken unter der Spule der Klimaanlage uriniert, er musste langsam urinieren, damit das Becken sich nicht ganz füllte, aber sonst lief alles gut ab. Solange ich ihm einen täglichen Abstecher nach unten für das festere Geschäft ermöglichen würde, wäre das ausreichend. Ich half ihm, zu diesem wesentlichen Zweck hinunterzuklettern, und sobald seine Füße den Teppich erreichten, schien er sich ausgesprochen unwohl zu fühlen, wie ein Waschbär, der mitten am Tag unterwegs ist. Er atmete nicht normal, bis er fertig war und sich in seinem beengten Denkraum wieder sicher fühlte.
Er zeigte mir, dass er von meiner Zimmerdecke zur Zimmerdecke über dem
Weitere Kostenlose Bücher