Ein Mann von Welt
Wohnzimmer gelangen konnte, und von dort konnte er durch einen Lüftungsspalt die Haustür sehen.
Wenn jemand nach ihm suchen sollte, sagte er, wüsste er es als Allererster. Das war von entscheidender Bedeutung, erklärte er, denn seit wir zum letzten Mal zusammengearbeitet hatten, damit meinte er die Antioxidationscreme – reden wir nicht mehr darüber, fügte er hinzu, er war jetzt ehrlich geworden –, seit wir also das letzte Mal zusammengearbeitet hatten, hatte er eine ganze Menge Verfolgungen von unvorstellbarer Vielfalt erlitten, seine Worte. Nicht einmal war er dabei einem einzigen Denkerkollegen begegnet, fügte er hinzu, was eine doppelte Demütigung gewesen war. Nicht nur musste er leiden, sondern er hatte auch niemanden, der den Kontext seines Leidens verstand. Ich hatte keine Ahnung gehabt, ich hätte auf jeden Fall versucht, ihn zu finden, wenn ich das gewusst hätte und wenn ich mich nicht Tante Liz' klinischer Studie verschrieben hätte. An dieser Stelle erklärte er mir das Wesen von solchen klinischen Studien, dass sie normalerweise zugunsten der Personen, die sie finanzierten, manipuliert wurden und dass ich überhaupt versäumt hatte, meine Begriffe korrekt zu definieren. Er machte mir deshalb keinerlei Vorwürfe, er würde einem Denkerkollegen nie für den Versuch, das Denken voranzubringen, Vorwürfe machen. Selbst Fehltritte zählen, wenn man sich auf diese Art von Ziel zubewegt, seine Worte.
Ich hatte vergessen, glaube ich, oder mir war es nicht klargeworden, oder ich hatte es im falschen Teil meines Kopfes durcheinandergebracht, ich hatte vergessen, dass trotz der Lawine von Schwierigkeiten, mit denen ich mich konfrontiert sah, und mit der Lawine von unbeabsichtigten Konse
quenzen, die sich aus jeder meiner Handlungen ergab, ich hatte vergessen, dass ich ja in der Tat das Denken voranbrachte, auf meine eigene Art, Schritt für Schritt. Ich erinnerte Paul daran, dass ich nach wie vor meinen Weg suchte, ein Mann von Welt zu werden. Ich hatte ihn noch nicht gefunden, weder als Mitarbeiter des Monats noch bei der Leuchtturmgemeinde noch in Dr. Rosenkleigs Sprechzimmer mit den vielen gerahmten Diplomen noch sonst irgendwo. Paul blies seine Backen auf und atmete aus. Die Zeit war gekommen, sagte er, mit mir über Spießer zu sprechen.
Er forderte mich auf, mir in Gedanken einen Mann von Welt auszumalen. Er fragte mich, ob ich vor meinem inneren Auge eine Uhr an einer Kette oder einen Anzug mit Weste oder Krokodillederschuhe sah. Natürlich, sagte ich, natürlich sah ich das. Er setzte mich in Kenntnis, dass ich mir einen Spießer vorstellte, keinen Mann von Welt. Einen Spießer kann man immer daran erkennen, wie er demonstrativ die Zeitung liest, ein Spießer wird die Zeitung dauernd hochhalten, und es wird nie die Lokalzeitung sein, und er wird sie lesen, als wäre nichts sonst auf der Welt wichtig, aber wenn der Spießer fertig ist, Pauls Worte, lässt er seine Zeitung überall rumfliegen, er faltet sie nie ordentlich zusammen, er behandelt sie als etwas, was man nachlässig entsorgt, zur Seite wirft, ohne all die Bedeutung, die er ihr vorher zugemessen hatte. Damit will er zeigen, dass er über den sogenannten Dingen steht. Er hat die Zeitung benutzt, um sich zu bestätigen, um zu bestätigen, was gar nicht stimmt, dass er ein Mann von Welt ist, und jetzt muss er sie entsorgen, er
muss sie beiseitewerfen, oder er wird auf ihre Ebene herabgezogen werden. Aber tatsächlich agiert er bereits exakt auf ihrer Ebene, Pauls Worte. Eine Zeitung packt die ganze Welt auf ein paar Seiten, und Spießer packen die ganze Welt in ihren Weinkeller oder in ihre Pässe voller Stempel oder ihre Kunstsammlungen. Sie sammeln, und sie versammeln sich, in Horden und Clubs, Bruderschaften und Kooperativen, Bürgerinitiativen und Vereinen, hinter Etiketten und Anstecknadeln, auf Plaketten und Listen, in Karteien und Jahrbüchern. Bei jeder Gelegenheit und auf jede vorstellbare Art und Weise verkünden sie, wie sehr sie Männer von Welt sind, aber tatsächlich ist ihre Reaktion auf die Conditio humana, seine Worte, das bedeutet das Menschsein, sich abzusondern und aneinanderzukauern, auch Pauls Worte, sie drehen der Welt den Rücken zu und nennen das Leben. Deshalb sagen Spießer gern, dass große Geister ähnlich denken, das ist einer ihrer Lieblingssprüche. Aber tatsächlich, biologisch faktisch, denken kleine Geister ähnlich.
Er blinzelte mich an, als würde er versuchen, durch ein schmutziges Fenster zu
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