Ein Mann wie ein Erdbeben
Wolke, viel Tüll und zarte Spitzen – darüber floß ihr langes schwarzes Haar. Ein Bild, das sofort in Vredenhausen zu wildesten Vermutungen anregte.
Zwei ältere Damen wollten sie wiedererkannt haben, von einem Illustriertenbild. »Eine Prinzessin«, verkündeten sie. »Irgendwo aus Italien. Uralter Adel. Steinreich. So ist's immer … die Richtigen finden sich.«
Die Sache mit der Prinzessin wurde in Vredenhausen ohne Kommentar geglaubt. Man traute Bob Barreis alles zu, auch daß er eine Uradelige in den Ruhrpott brachte. Aber warum diese Heimlichkeit? Warum diese Eile? Gerade in solchen Kreisen ist doch eine prunkvolle Hochzeit noch wirklich ein Höhepunkt des Lebens. Wovon sollten denn auch eine ganze Reihe von Zeitschriften leben, wenn Prinzessinnen nicht mehr glanzvoll, sondern nur noch heimlich heirateten?
Haferkamp war froh, als er nach einer halben Stunde – der Standesbeamte ließ es sich trotz warnender Blicke nicht nehmen, eine Rede zu halten – wieder auf den Markt trat und schnell in seinem Wagen verschwand. Bob und Marion Barreis – ihre Hand hatte stark gezittert, als sie diesen Namen unter das Ehedokument schrieb – sahen sich auf dem Platz um. Die Köpfe an den Fenstern zuckten zurück. Dr. Dorlach lachte laut.
»Wie im alten China. Da durfte auch keiner dem Kaiser ins Auge blicken!«
Im Barreis-Schloß wartete bereits Pfarrer Lobsamen und holte die junge Frau symbolisch in ihr neues Heim. Das wäre die Aufgabe von Haferkamp gewesen, aber er hatte Pfarrer Lobsamen zu dieser Mission überredet, indem er eine größere Spende für neue Kirchenbänke in Aussicht stellte.
Auch hier war die Trauung nüchtern, nur im Rahmen der vorgeschriebenen Zeremonie. Nicht einmal gesungen wurde, und es wäre zu lächerlich gewesen, wenn Onkel Theodor zusammen mit Dr. Dorlach ein Kirchenlied gebrummt hätte. So sang der Pfarrer allein seine Litaneien, die beiden Meßdiener – auf sie konnte Haferkamp nicht verzichten – taten ihr Bestes, bekamen nachher jeder zwanzig Mark und einen Teller voll Kuchen. Dann bat Butler James würdevoll zur Tafel.
Aber der einzige Teil der Hochzeit, der angenehm zu werden versprach, wurde unterbrochen durch ein fahlbleiches Hausmädchen, das in das Speisezimmer stürzte, die Schürze gegen den Mund drückte und stammelte:
»Ein Spediteur hat ein Geschenk abgeladen. Es … es steht in der Halle. Er … er sagte, es sei so bestellt worden.« Dann rannte sie hinaus.
»Das muß ja ein tolles Ding sein!« rief Haferkamp. »Elli ist nicht so schreckhaft. Sehen wir uns das Geschenk gleich an.«
Aber dann blieben sie ebenfalls betroffen an der Tür stehen und starrten auf das Monstrum, das abgegeben worden war. Nur Bob lachte, wenn auch etwas belegt, und ging weiter, das Geschenk näher anzusehen. Wie bei einem Blumenstrauß lag oben drauf eine Karte in einer Cellophanhülle.
Mitten in der Halle stand ein Sarg.
Ein großer, schwerer, polierter, schöner, teurer Eichensarg.
Bob riß den Umschlag auf und las die Gratulation laut vor:
»›Zur Hochzeit unsere besten Wünsche. Sollte es Dir an einem Brautbett mangeln, nimm mit dem hier vor lieb. Bedenke aber, es hat keine Batteriekühlung. Tschocky und Co.‹«
»Ich werde Tschocky verklagen!« schrie Haferkamp. »Dorlach, morgen sofort leiten Sie alle Schritte ein! Die Polizei! Die Polizei muß diesen Vorfall fotografieren! Tschocky und Co. … So eine Frechheit! Ich werde im Industrie-Club darüber berichten!«
»Es ist Fritz Tschocky«, sagte Bob und zerknüllte den Brief. »Er hat eine eigene Art von Humor. Laß ihn, Onkel! Ich habe Phantasie genug, ihm das heimzuzahlen. James?«
Der Butler, der an der Haustür stand, rührte sich nicht.
Bob Barreis zeigte auf den Sarg. »Sorgen Sie dafür, daß das süße Ding auf mein Zimmer kommt. Jawohl, auf mein Zimmer. Wenn Tschocky denkt, ich nehme jetzt eine Axt … im Gegenteil.« Er faßte Marion um die Taille. Sie war bleich und hielt sich nur mit Mühe aufrecht. »Marion kennt ihn, den Tschock!« rief er. »Immer den Kopf voller Extreme. Zu Tisch, liebe Hochzeitsgäste!«
Es wurde eine triste Mahlzeit. Einmal fragte Haferkamp, nach langem Nachdenken: »Was heißt eigentlich ohne Batteriekühlung? Das haben Särge doch nie!«
Und es war Dr. Dorlach, der geistesgegenwärtig eingriff und antwortete:
»Auch so ein Aphorismus von diesem Tschocky. Vielleicht meint er damit diesen modischen Blödsinn in den USA, wo sich Tote tiefkühlen lassen, um sich später, bei einem neuen
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