Ein Mann wie ein Erdbeben
Wir wollten die Welt entsetzen.«
»Und jetzt flüchten wir wie zwei Zechpreller.«
»Nur vorübergehend.« Tschocky klappte den kleinen Handkoffer zu. Er hatte sich mit einem herben Parfüm besprüht, das zu seiner Lederjacke paßte. »Wir müssen in Essen sein, bevor die Polizei festgestellt hat, wem der Wagen gehört. Es ist vollkommen ausgeschlossen, daß die Diebe mit unserer Leiche weiter durch die Gegend fahren.«
Tschocky wartete, bis Bob reisefertig war. Welch eine Mißgeburt, dachte er, als Bob sich rasierte, seine schönen Haare kämmte, in leichte Wellen legte und sein engelhaftes Gesicht mit Rasierwasser massierte. Zu nichts nütze, auf die Welt gesetzt, um ein Schmarotzer zu sein, eine glatte, parfümierte Made, die sich durch alles hindurchfrißt, was sie ernährt: Onkel, Mutter, Fabrik, Weiber. Wenn er davon leben könnte, würde er auch schwul werden. Aber noch jauchzen die Frauen, wenn er seine Hose öffnet.
»Fertig?« fragte er angewidert. »Ich habe mir deinen Song mit den hörenden Tauben durch den Kopf gehen lassen. In Essen kennen wir uns nicht mehr. Das Fahrgeld lege ich für dich aus … stifte einer Hure die Anzahlung für ein neues Gebiß. Und Marion …«
Bob Barreis fuhr herum. »Erwähne Marion nicht!«
»Das ist dein Trauma, was? Schon in Cannes hatte ich das Bedürfnis, mir von einem Arzt die Ohren durchblasen zu lassen. Kannst du überhaupt Liebe empfinden, Bob? Richtige Liebe? Mondscheinseufzer mit allem Pipapo?«
»Ja –«, sagte Barreis kurz. »Ich kann.«
»Schon probiert?«
»Frag nicht so dämlich.«
»Bei Marion Cimbal?« Tschocky lehnte sich neben das Fenster an die Wand. Bob band sich seine Krawatte um. Sie war für ihn wie das Brandzeichen bei einem Hengst. Eine Gütemarke. Ein Abzeichen, das rätselhafterweise jede Frau verstand. Eine Fahne, die auf seinen Phallus hinwies. Seht her, hier naht ein Mann wie ein Erdbeben …
»Ich wiederhole: Ich liebe Marion.«
»Wenn sie das fertigkriegt, sollte man es nach Rom melden und sie zur Heiligen ausrufen.« Tschocky blickte auf seine goldene Armbanduhr. Sieben Uhr genau. Durch das angelehnte Fenster zog vom Frühstücksraum herrlicher Kaffeeduft ins Zimmer. »Willst du dich putzen, bis die Polizei auftaucht?«
»Angst?« Bob Barreis lächelte zynisch. »Wer mit Toten handelt, sollte auch ihre toten Nerven haben.«
»Ich habe darin keine Erfahrung.« Wieder die Anspielung, die Bob Barreis das Blut in die Schläfen trieb. Er sah aus den Augenwinkeln zu Tschocky hinüber. Was wußte er? Was traute man einem Bob Barreis zu? Der alte Adams wanderte wie ein Prediger herum und beweinte seinen Sohn Lutz. Seine Anklagen waren bisher verhallt … aber blieb nicht immer Schmutz zurück, wenn man mit Schmutz wirft? Auch die Wahrheit kann wie Schmutz sein … sie hinterläßt Flecken auf der sauberen Weste.
Bob schloß seinen Koffer. Noch ein Blick in den Spiegel. Er wunderte sich stets von neuem über sich selbst. Sein Gesicht war von einer unzerstörbaren Anziehungskraft. Eine Nacht Schlaf, und er hatte sich geschält wie eine Schlange, die glatt und glänzend ihre neue Haut in der Sonne wärmt.
»Trinken wir Kaffee?«
»Natürlich. Mit Hörnchen, Honig und Kirschwasser im Kaffee!« Tschocky ging zur Tür. »Zum Bahnhof, Bob! Frühestens in Lindau habe ich Ruhe, zu kauen.«
Sie bezahlten in der Rezeption ihre Rechnung, einschließlich Frühstück, hatten Glück, daß ein Taxi einen Gast gebracht hatte, und mieteten es gleich für die Fahrt zum Bahnhof, blickten bei der Abfahrt auf den leeren Platz, wo ihr Wagen mit der bunten Kiste gestanden hatte, und lehnten sich dann in die Polster zurück.
»Es war eine geniale Idee, die Batteriekühlung«, sagte Tschocky. »Bob, das mußt du anerkennen.«
Bob Barreis schwieg verbissen. Das sizilianische Abenteuer lag ihm im Magen, auch wenn er das Unbehagen überspielte. Das einzige, wovon er außer Frauen noch etwas verstand, waren Autos. Den Fortgang der Dinge, wenn die Polizei erst einmal den Kombi untersuchte, hätte er minuziös rekonstruieren können.
»Sie werden die Motornummer überprüfen«, sagte er leise und beugte sich zu Tschocky hinüber. »Damit reißen sie uns auf …«
»Und darum müssen wir vorher in Essen sein. Dr. Samson wird alles bügeln …«
»Wer ist Dr. Samson? Hat er auch eine Daliah?«
»Witzbold!« Tschocky rauchte eine Zigarette an. »Samson ist unser Anwalt. Duzfreund des alten Herrn. Im Aufsichtsrat. Kommilitone des Oberstaatsanwalts. Es gibt
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