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Ein Mann wie ein Erdbeben

Ein Mann wie ein Erdbeben

Titel: Ein Mann wie ein Erdbeben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nichts, was er nicht zurechtbiegt, und wenn es eine Acht ist, die gerade werden muß. Wer wie die Tschockys Stahl verhökert, kann auch Autonummern unlesbar machen. – Wir müssen nur erst in Essen sein.«
    Um 8 Uhr 19 fuhr ein Zug nach Lindau.
    Als sie die deutsche Grenze passierten, fühlten sie sich merkwürdigerweise sicherer. Es mußte damit zusammenhängen, daß sie wieder in den Bannkreis ihrer einflußreichen Familien traten.
    Es war gar nicht so einfach, von Lindau nach Essen zu kommen. Der Weg zum Mond ist gerade, aber auf der Erde muß man umsteigen, auf Anschlüsse warten, Verspätungen einkalkulieren. Wenn es heißt: Sie landen im ›Meer der Ruhe‹ um 17 Uhr 54, dann weiß man, es klappt auf die Sekunde … mit dem Zug auf der Erde ist das nicht so sicher, schon gar nicht in der Ferienzeit.
    Tschocky und Bob Barreis trafen gegen 18 Uhr in Essen ein, gaben sich die Hand wie zwei Fremde, die sich erst im Zugabteil kennengelernt hatten und nun wieder für immer in ihrer eigenen Welt verschwinden, und fanden ein paar belanglose Worte des Abschieds. Höflichkeiten, mit denen sie die Ruine ihrer Freundschaft verkleideten.
    »Mach's gut, Tschock –«, sagte Bob.
    »Vergiß nicht unsere Abmachung. Du warst in Cannes, ich auf Sylt. Wir haben uns vor vier Wochen das letztemal gesehen.«
    »Natürlich. Ich kenne auch den grünen Kombi nicht.«
    »Grüß mir Marion. Du gehst zu ihr?«
    »Heute nicht. Ich will Onkel Theodor beglücken.«
    »Vielleicht telefonieren wir mal miteinander.«
    »Vielleicht …«
    Das war alles. Tschocky drehte sich weg, ging zum Taxistand, stieg in einen Wagen und fuhr davon, ohne sich noch einmal nach Bob Barreis umzusehen. Es lohnte sich nicht. Menschliche Attrappen wie Bob waren nicht Tschockys Geschmack.
    Ein dämlicher Fatzke, dachte Bob Barreis. Er blieb vor dem Bahnhof stehen, blickte dem Taxi nach und steckte die Hände in die Jackentaschen. Zwischen den Fingern klimperte etwas Kleingeld. Er tastete es ab. Drei Fünfmarkstücke, ein paar Markstücke, Zehnpfennigmünzen, zusammen vielleicht zwanzig Mark. Es reichte, um nach Vredenhausen zu kommen.
    Bitterkeit stieg in ihm hoch. Wie ein Bettler steht man herum, dachte er. Mit zwanzig Mark in der Tasche. Das einzige Vermögen des einzigen Erben der Barreis-Werke. Ist das nicht zum Kotzen? Man hätte meinen Vater vergiften müssen, bevor er die idiotischen Nachlaßbestimmungen ausbrütete. Aber wer dachte damals daran? Während er mich beobachtete wie die Schlange das Kaninchen, lag ich mit den Zimmermädchen im Bett oder bewunderte Tante Ellen, wenn sie kurz vor der Klimax zu röhren begann wie ein heiserer Hirsch. Ob der Alte das alles beobachtet hat? Warum sagte er damals nichts? Aber Rache nahm er an seinem einzigen Sohn, setzte Onkel Theodor auf den Barreis-Thron und reservierte für mich das Töpfchen, auf das ich als Kind gesetzt wurde. »Mach schön Pipi …« Das dämliche Gesicht von Fräulein Hannelore – sie kündigte, weil ich ihr gegen die Schienbeine trat, sobald sie in meine Reichweite kam. Und dann das Fräulein Erika, diplomierte Kinderschwester: »Hast du schon A-a gemacht, Bübchen?« Sie ging nach einem halben Jahr, weil ich – damals war ich drei Jahre alt – überall Messer klaute und ihr damit die Kleider aufschlitzte.
    Und so ist das geblieben, bis heute. Sei brav, mach schön Pipi … hast du schon A-a gemacht? Onkel Theodor, Mama Mathilde, Rechtsanwalt Dr. Dorlach, Hellmut Hansen, dieser widerliche Moralonanist … und Millionen liegen da herum, Millionen an Fabrikgebäuden und Werkzeugen, Maschinen und Fertigwaren, Grundstücken und Aufträgen, Kundenforderungen und Bankkonten … Millionen, die mir gehören, die Onkel Theodor vor mir zumauert mit ein paar Sätzen, die der alte Barreis vor seinem Tod ersonnen hat.
    »So geht es nicht!« sagte Bob halblaut. »So nicht, Onkelchen. Wir reden noch einmal darüber …«
    Der Zug nach Vredenhausen war halb voll. Wenig Arbeiter, die von Essen nach Schichtwechsel hinausfuhren. Die Barreis-Werke hatten alle Arbeitskraft von Vredenhausen aufgesogen, ohne die Barreis-Werke war Vredenhausen ein Nest, nicht einmal gut genug für einen Sonntagsausflug ins Grüne. Barreis … das war ein Wort wie Gott. Nein, mehr … Gott versprach nur Seligkeit, Barreis aber hielt am Leben, füllte die Lohntüten, garantierte einen vollen Teller. Erst Barreis, dann Gott. Selbst der Pfarrer von Vredenhausen schien so zu denken … beim Skatabend gab er Onkel Theodor in allen

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