Ein Mann will nach oben
jetzt fast leise miteinander. Karl Siebrecht saß noch immer am Küchentisch vor dem abgegessenen Teller, in dem der Löffel lag. Die Küche roch nach Kohl. Rieke war von ihrem Nähplatz aufgestanden, sie stand am Herd, kaum zwei Meter von ihm ab. Sie mußte in den letzten Wochen gewachsen sein. Plötzlich fiel ihm auf, wie hager und elend sie aussah, gar nicht wie ein junges, tatkräftiges Mädchen. Ihm fiel ein, daß sie in knapp zwei Wochen, zu Palmarum, konfirmiert wurde. Und dann fiel ihm der dumme Vers ein: Vierzehn Jahr und sieben Wochen ist der Backfisch ausgekrochen … Rieke war nun vierzehn Jahr, seit ein paar Wochen schon.
Sie hatte ihn bisher immer nur kurz angesehen. Jetzt aber richtete sie den Blick ihrer hellen Augen voll auf ihn und sagte: »Na, Karle, det weeßte doch am besten, wie du zu mir jewesen bist die letzte Zeit.«
»Ich weiß nicht«, verteidigte er sich, »daß ich schlecht zu dir gewesen bin.«
»Na, Karle«, sagte sie mit der alten Offenherzigkeit, »an ders wie früher biste doch jewesen, wat?«
»Ich weiß nichts davon«, behauptete er. »Wieso denn? Und warum überhaupt?«
»Na, Karle, seit du dein dußliges Fuhrjeschäft im Koppe hast, von da an biste doch janz vaändert!«
Dies war ein böses Wort – er fuhr hoch und schlug mit der Faust auf den Tisch, daß der Teller tanzte. Der Löffel klirrte dabei gegen den Rand. »Siehst du, da haben wir’s ja!« schrie er. »Bloß darum hackt ihr auf mir herum, weil ich das vorhabe. Schon heute früh hat der Kalli mit mir geschimpft, weil ich ihm nicht alles vorher gesagt habe! Und jetzt fängst du auch an! Dußliges Fuhrgeschäft, wahrhaftig! Ich grüble Tag und Nacht, wie ich euch vorwärtsbringe, jawohl, euch auch, nicht nur mich. Aber ihr wollt gar nicht! Euch ist solch ein Loch in der Wiesenstraße gut genug für euer ganzes Leben, mit seinem Kohlgeruch und den angeschlagenen Tellern! Da verbündet ihr euch gegen mich, und dann sagt ihr, ich habe euch verraten! Über so was lach ich nur, hörst du, Rieke, ich lache darüber!«
Aber er lachte nicht. »Det tut mir leid«, sagte Rieke, »duß lig hätt ick nich sagen sollen. Det ist mir so rausjerutscht. Sei nich böse drum, Karle!« Sie streckte ihm bittend die Hand entgegen.
Aber er achtete gar nicht darauf. »Weißt du, was mir heute für mein dußliges Fuhrgeschäft geboten worden ist?« rief er prahlerisch. »Fünfzig Mark Wochenlohn! Und in kurzem hundert Mark, und dann noch mehr! Das ist, was ihr dußlig nennt! Weil ihr von nichts was versteht, weil ihr neidisch seid! Weil ihr mir das nicht gönnt!«
»Det sare nich, Karl«, antwortete sie sehr blaß. »Red bloß nich so wat. Ick bin nich neidisch – uff dir schon jar nich, und ick jönn dir allens.«
Er achtete nicht auf das, was sie sagte. Er hatte sich über den Tisch gebeugt und sprach ihr nahe ins Gesicht: »Aber dasist, was euch am meisten wütend macht: daß ich euer Geld dafür nehmen will, ihr habt Angst um eure paar Kröten!«
Sie sah ihn an, lange. Er konnte nicht weiterreden. Sein schlechtes Gewissen hatte ihn so lange geplagt, bis er dies von dem Geld vorgebracht hatte, ganz gegen Absicht und Willen. Denn das wußte er ja am besten, daß er sie zum mindesten darum hätte fragen müssen. Und ebensogut wußte er, daß sie sofort ja gesagt hätten. Aber das eben hatte er nicht übers Herz gebracht, sie zu fragen, denn Fragen war Bitten, und er mochte keinen bitten, auch sie nicht. So hatte er’s im Streit vorgebracht, als eine Anklage gegen sie, und er wußte, daß die Anklage falsch war. Aber sie sollte sich verteidigen, wo er sich hätte verteidigen müssen, und aus ihrer Verteidigung wollte er Stoff zu neuer Anklage finden, bis es so weit war, daß er das Geld ohne Fragen in der Tasche behalten konnte, daß sie es ihm aufdrängte, daß sie es unter keinen Umständen zurücknahm – auch wenn er es ihr anbot.
»Jeld!« fragte sie blaß. »Wat redst du von Jeld? Ha ick mit einem Wort von Jeld geredet? Nich jedacht ha ick an Jeld.« Sie steigerte sich: »Nimm allens Jeld, wat wa haben, vaklopp allens, wat da is, ooch die Maschine, det is mir so piepe! Wat frag ich nach Jeld! Sei lieber so wie de früher zu mir warst! Du hast mal jesagt, wa sind wie Schwesta und Bruda. Aba det sind wa lange nich mehr, Karle!«
»Es ist, seit dieser verfluchte Kalli Flau dazwischengekommen ist …« versuchte er, sich zu verteidigen.
Ihre Worte hatten ihn doch angefaßt. Und dabei brannte ihn das Geld in der Tasche, er
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