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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Passagen zu erinnern, die ihm Josef aus den Büchern vorgelesen hatte. Warum, so fragte er sich, hatte der Herr, nachdem Er Josua zum Sieger gemacht hatte, warum hatte Er nur zugelassen, daß die Armee des Zedekia von den Babyloniern in alle Winde zerstreut wurde, und daß die Soldaten Nebukadnezars sein Volk niedermetzelten und aus Jericho vertrieben? Als sie durch das Judäische Tor schritten, maß er mit den Augen die Dicke der Balken. Sie hätten wahrlich hundert babylonischen Angriffen standhalten können.
    Am ersten Brunnen machten sie unter einer Statue des Cäsars, neben der eine Reihe Legionärshosen zum Trocknen aufgehängt waren, halt. Das einst von Elisa gereinigte Wasser besudelte heute der Schmutz der Römer, die ihre Wäsche darin wuschen. Die beiden bogen in die unmittelbar vor ihnen abzweigende Straße ein und gelangten an einen kleinen Platz, in dessen Mitte ein im römischen Stil gehaltenes Denkmal emporragte, gekrönt von der Statue eines dickleibigen Mannes. Die Inschrift war in lateinischer und hebräischer Sprache eingemeißelt. Jesus hatte einige Mühe, sie zu entziffern: Sie standen vor einem Denkmal Herodes’ des Großen. Wo einst die Propheten ihren Fluch ausgestoßen hatten, priesen heute Zitronen- und Tamarindensafthändler lauthals ihre Getränke an. Jericho war eine Stadt des lockeren Lebenswandels und der Vergnügungen geworden. Jesus und Joasch setzten sich auf die Stufen des Denkmals, beobachteten die Passanten und verfolgten mit besonderem Interesse einen kleinen Zug, der einer von vier Schwarzen getragenen Sänfte mit heruntergelassenen Vorhängen das Geleit gab.
    »Ganz schön was los hier«, murmelte Joasch. Dann fragte er einen Händler, der seinen mit Gemüse beladenen Maulesel vor sich hertrieb, ob er wohl wisse, wie man am besten nach Qumran komme. Der Händler blieb stehen, musterte die beiden Männer nicht gerade freundlich und nickte. Nachdem er die unhöfliche Bemerkung vor sich hin gebrummelt hatte, daß sie genau wie Leute aussähen, die nach Qumran wollten, schilderte er ihnen den Weg: auf der Straße Richtung Süden, dann rechts der Felswand entlang; bei der dritten Furt, ganz da in der Nähe liege es.
    Jesus erhob sich und griff nach seinem Stock.
    »Warte hier kurz auf mich!« bat ihn Joasch und entfernte sich rasch. Jesus blickte zur Statue jenes Mannes hinauf, den Josef so verabscheut hatte. Wenn er auch nur ein denkwürdiges Wort gesprochen hätte, dann wäre es nicht nötig gewesen, ihm dieses Denkmal zu setzen, dachte er.
    Joasch kam zurück und reichte Jesus ein Päckchen. »Brot, eine gebratene Taube und Feigen«, bemerkte er dazu.
    »Warum das?« fragte Jesus.
    »Weil du nicht stehlen kannst«, entgegnete ihm Joasch und lachte lauthals auf. Einen Augenblick später stand Jesus wieder allein vor dem Denkmal. Der Schatten Herodes’ fiel auf ihn; er tat einen Schritt zur Seite. Eine Frau ging vorüber. Auf ihrem Arm trug sie ein Hündchen mit weißem, krausem Fell. Ja, er hatte schon richtig gesehen, das Tier saß auf ihrem Arm. Sie warf ihm einen vielsagenden Blick zu, worauf er sich beeilte, wieder ans Judäische Tor zu gelangen.
    Nach einem einstündigen Fußmarsch war nur mehr Wüste rings um ihn. Um die Mittagszeit durchwatete er die erste Furt. So wie die ganze Wüste Judäas von Gelbtönen beherrscht wurde, war auch das Gestein der angekündigten Felswand gelb. Zur Linken blinkte in der Ferne eine bleierne Lache, das Tote Meer. Unerbittlich stach die Sonne nieder. Das gleißende Licht blendete Jesus. Ein Gefühl des Unwohlseins überkam ihn plötzlich. Ganz nah an seinem Ohr vernahm er einen Pfeifton; er lehnte sich an den Felsen. Ein unterdrücktes Lachen hörte er nun, obwohl außer ihm niemand zu sehen war. Das Gelächter schwoll an in einem Maße, wie es nur ein Wahnsinniger hervorbringen konnte. Doch es war kein Wahnsinniger, der da so lachte. Seit langem schon hatte Jesus ihn erwartet, und geradezu erleichtert begrüßte er ihn nun.
    »Gott wird dir vergeben«, sagte er.
    Das Lachen ging in ein Grollen, dann in ein nicht enden wollendes Gebrüll über, das donnernd zum Meer hinunterrollte, immer größere Gesteinsbrocken mit sich riß und schließlich die Erde zum Beben brachte.
    »Wenn du keine Vergebung willst«, schrie Jesus, »dann scher dich fort!«
    Er war schweißgebadet und hielt sich nur mühsam auf den zitternden Beinen. Den Widerhall seiner Stimme hatte das Echo in harte, mißtönende Laute aufgelöst, zu denen sich noch das Wehklagen

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