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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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des plötzlich aufkommenden Windes gesellte. Der Wüstenstaub wirbelte hoch und umtanzte ihn in einem rasenden Reigen.
    »Jahwe!« schrie er. Einem Brecher gleich wogte eine gewaltige Dünung, fauchend und brüllend wie ein verletztes Tier, zum Toten Meer hinab. Zwei- oder dreimal noch schlug der Wind dem Wanderer das Gewand klatschend um die Beine, dann rührte sich nichts mehr. Stille legte sich über die Welt, die nun in einem Zustand äußerster Anspannung vor ihm zu liegen schien wie ein Stück Leder, das der Gerber bis zum Zerreißen gespannt hat.
    Jesus erschauerte. Er trank einen großen Schluck Wasser aus der Kürbisflasche, die er in Jericho aufgefüllt hatte, und aß eine Feige. Der Feind existierte also. Eines Tages würde er auch seine Herkunft herausfinden. Wichtig war nur, zu wissen, daß es ihn gab, daß er ein treuloser Diener war oder auch das andere Erscheinungsbild der Allmacht. Er kniff die Augen zusammen. Die zweite Furt lag nur ein paar Schritte weiter; völlig ausgetrocknet war sie. ln der Ebene konnte Jesus in der Ferne die kubischen Formen einiger Häuser erkennen. Der Weg war sehr steinig geworden. Langsam schritt er voran, ohne die Ansiedlung aus den Augen zu lassen. Es standen mehr Häuser dort, als es zunächst den Anschein hatte, und sie waren alle um ein großes Hauptgebäude angeordnet, das von einem viereckigen, gedrungenen Turm überragt wurde. Etwas weiter südlich fraßen zwei oder drei Dutzend Schafe gierig ein paar kümmerliche Flecken Weideland kahl, Esel und Maultiere leisteten ihnen dabei Gesellschaft. In Richtung Osten erstreckten sich in Streifen angelegte Anbauflächen. Jesus war nun nahe genug herangekommen. Er konnte Männer mit nackten, schweißglänzenden Oberkörpern auf den Feldern ausmachen, ja, er erkannte sogar, daß junger Weizen angebaut wurde. Wo hatten sie nur Wasser gefunden in diesem Höllental? Als er die Ansiedlung erreichte, schritt er auf das Hauptgebäude zu, von dem er annahm, es sei ein Kloster. Vergeblich suchte er in der fensterlosen Mauer nach dem Eingang. Er blieb stehen, um sich vom heißen Wind den Schweiß trocknen zu lassen, und verscheuchte ein paar lästige Fliegen. Ein Arbeiter, der gerade des Wegs kam, musterte ihn, und Jesus fragte ihn nach dem Eingang zum Gebäude.
    »Auf der Seite, die aufs Meer hinausgeht. Er ist hinter einem Windfang verborgen.«
    Dieser Mann hier war sicher nicht von der Sorte jener halbverblödeten Bauern, denen er in Betsaida begegnet war. Jesus ging um das Bauwerk hemm; im Vorübergehen stiegen ihm die übelriechenden Dämpfe einer Gerberei in die Nase, dann sog er den vertrauten Geruch frischen Sägemehls ein. Er hatte das unbestimmte Gefühl, beobachtet zu werden, und blickte nach oben. Tatsächlich, vom Turm aus folgte ihm ein Späher mit den Augen. In Qumran waren also Wächter nötig, was bedeutete, daß auch hier Gefahren lauem konnten. Aber welche nur? Er gelangte an den Windfang, der den Eingang vor Sandstürmen schützen sollte. Die Tür dahinter war angelehnt. Er stieß sie auf und betrat einen kleinen, relativ kühlen Raum, in dem ein Mann, über eine Pergamentrolle gebeugt, an einem Tisch saß. Dieser Tisch und ein Stuhl bildeten das ganze Mobiliar des Zimmers. Der Mann hob langsam den Kopf und ließ seinen Blick auf Jesus ruhen.
    »Friede sei mit dir!« begrüßte ihn Jesus. »Lebt unter euch Jokanaan, der Sohn des Priesters Zacharias?«
    »Ja, das tut er«, antwortete der Mann.
    »Kann man ihm vielleicht ausrichten lassen, daß ihn Jesus, der Sohn des Zimmermanns Josef, zu sehen wünscht?«
    »Jokanaan ist gerade auf den Feldern. Ich werde ihn benachrichtigen. Warte hier!«
    Das war nun der zweite Essener, dem er hier begegnete. Alle beide waren jung, aufgeweckt, und noch dazu schön. Vielleicht traf wirklich zu, was man ihnen nachsagte, daß sie nämlich sehr viel Wert auf die körperliche Erscheinung ihrer neuen Mitglieder legten, weshalb sie Dicke oder zu Magere, Kleine oder Verwachsene, ja sogar solche mit groben Gesichtszügen zurückwiesen. Als man ihm erzählte, daß die Essener selbst Kandidaten, deren Fesseln ihnen nicht schlank genug erschienen, ablehnten, hatte er das nur mit einem Achselzucken abgetan; vielleicht hatte er unrecht gehabt. Ratlos besah er seine Handgelenke. In den Augen der Essener konnte eine auserwählte Seele nur in einem harmonischen Körper wohnen. Er empfand das als Ungerechtigkeit, und der aus dieser Anschauung abgeleitete Gedanke an eine Einteilung der Menschen in

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