Ein Mensch namens Jesus
nichts als den Staub der Felsen frißt man dort wie ein ausgehungerter Milan... Und lauter Männer, Halbverrückte!«
»Du beklagst die Verdorbenheit Israels, in Qumran aber stehlen und betrügen die Leute nicht, sie huren nicht und stopfen sich nicht das ganze Jahr hindurch den Wanst voll. Sie befolgen das Gesetz des Herrn. Sie wollen dem Gesetz des Herrn in diesem Land wieder Geltung verschaffen.«
»Ha!« rief Joasch mit rauher Stimme und wandte Jesus sein Gesicht zu, in das der Sarkasmus seine Furchen eingegraben hatte. »Schon wieder bloße Worte! Ich bin zwar ein Dieb, das heißt aber noch lange nicht, daß ich deshalb auf den Kopf gefallen bin und nicht weiß, was um mich her alles passiert. Du sprichst einfach so vom Herrn und von Leuten, die sich Seine Soldaten, Seine Priester, Seine Herolde und was weiß ich noch alles nennen. Da unten in Samarien kenne ich zwei, die auch von einer großen himmlischen Macht sprechen. Der eine hat einen griechischen Namen, an den ich mich nicht mehr erinnern kann, aber der andere heißt Simon. Neulich kaufte ich mir Wein in einer Schenke in Jericho; da hörte ich einen Mann klagen, seine Tochter sei stumm geworden. Konnte nicht mehr sprechen, mit einem Schlag. Alle, die ihm zuhörten, und auch der Mann selbst, meinten, daß ein Dämon von ihr Besitz ergriffen hat. Aber der Vater erklärte, die Rabbiner hätten diesen Dämon nicht auszutreiben vermocht. Da murmelte der Wirt der Schenke, daß er einen Magier namens Simon kenne, der gegen ein Entgelt von zwei Sesterzen den Dämon austreiben könne, selbst wenn es Beelzebub höchstpersönlich sei. Der Vater meinte daraufhin- allerdings ohne allzu große Überzeugung-, er könne doch keinen heidnischen Magier kommen lassen, die Priester würden ihm das nie verzeihen. Er erkundigte sich aber trotzdem, wo jener Simon zu finden sei. Ja, er habe schon von ihm gehört... >Wovor hast du Angst?< fragte der Wirt. >Wenn ein Mensch einen Dämon austreibt, dann bedeutet das doch, daß er in Gottes Namen handelt, oder?< Dann erklärte ein Gast, der das Gespräch verfolgt hatte, jener Simon sei nur ein Magier zweiten Ranges, der seine Kunst von einem anderen Magier erlernt habe, von jenem Griechen, den ich vorhin erwähnt habe...«
»Dositheus«, sagte Jesus.
»Ja, Dositheus, so heißt er, woher weißt du das? Dieser Gast also sagte, daß es immer besser sei, mit dem Meister einer Kunst zu unterhandeln und nicht mit dessen Schüler. Er fing auch an, über Simon zu schimpfen, behauptete, daß die Frau, mit der er zusammenlebe, Helena, nur eine aufgeplusterte Hure sei, daß sie vor ihrer Begegnung mit Dositheus in einem Bordell in Ephesus gearbeitet habe... Kurzum, endlose Klatschgeschichten. Der Vater der Stummen, der Unglückstropf, wußte nicht mehr aus noch ein. Dositheus oder Simon? Er wußte einzig und allein, daß seine Tochter stumm war, und das bedeutet ein Unglück, eine Schande. Mich interessierte natürlich, wie diese Geschichte ausgehen sollte. Also blieb ich in der Schenke, bis man zu einer Entscheidung gelangte. Zu guter Letzt stellte sich heraus, daß Simon, der viel umherreist, sich in Jericho aufhielt, während sein Lehrer sein Lager in der Nähe von Samaria aufgeschlagen hatte. Ein Bote wurde sogleich losgeschickt, um anzufragen, ob Simon wohl geruhe — sie sprechen von ihm wie von einem König oder Propheten — , ob er also geruhe, eine Stumme zu behandeln. Drei Stunden später war es draußen stockdunkel. Der Wirt hatte seine Türen verschlossen, wir warteten alle und knabberten zum Zeitvertreib geröstete Melonenkerne. Der Bote kam zurück, Simon war da! Simon war da!«
Jesus mußte zugeben, daß dieser Dieb wesentlich unterhaltsamer war als die meisten anständigen Leute.
»Es klopft an die Tür, wir halten vor Spannung den Atem an. Der Riegel wird zurückgeschoben, und ein tritt Simon. Wie ein König ist er gekleidet. Einen schwarzen, bestickten Mantel über einem weißen Gewand, und auf seiner Brust funkelt ein aufwendiger, aus Gold und Granaten gearbeiteter Halsschmuck. Duftende Öle verleihen seinem Haar schimmernden Glanz, sein Krausbart ist ebenfalls parfümiert, und sein Gesicht erst! Glatt wie das eines Kindes ist es. Ein außergewöhnlicher Mann. Den hätte ich nicht bestehlen können. Vater und Wirt stürzen ihm entgegen, machen einen Bückling nach dem anderen, es ist, als sei Ezechiel auf die Erde zurückgekehrt! Der Vater erklärt die Angelegenheit. Simon, gefolgt übrigens von fünf Schülern — das
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