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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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alle ihr Brot nach dem Vorbild des Meisters brachen. Zu guter Letzt brachten die Diener Weinkrüge an den Tisch des ehrwürdigen Greises; er verdünnte den Wein mit Wasser, dann erst wurde er an die Allgemeinheit ausgeschenkt.
    Eine halbe Stunde dauerte das Abendessen, das alle Tischgenossen schweigend einnahmen. Als der Meister sein Mahl beendet hatte — auch die anderen waren inzwischen gesättigt erhob er sich, dankte dem Herrn und verließ den Saal. Die Versammelten waren noch kaum bei der Tür angelangt, da eilten die Köche schon wieder zu den Tischen, um die kärglichen Essensreste in Schüsseln einzusammeln und sie — wie man Jesus erklärte — unverzüglich im Wüstensand außerhalb des Klosters zu verscharren.
    Den Schakalen wird diese Gegend wohlbekannt sein, dachte Jesus bei sich.
    »Nun ist der Zeitpunkt gekommen, um dich unserem Rat vorzuführen«, kündigte Hezechäus ihm feierlich an. »Und wenn du wirklich Mitglied unserer Gemeinschaft werden willst, tätest du vielleicht besser daran, solche Gedanken, wie du sie heute nachmittag gegenüber unserem Bruder Jokanaan und anschließend noch vor Efraim und Matthias geäußert hast, nicht zu wiederholen.«
    Daß die beiden Schriftgelehrten über den Verlauf ihrer Unterredung mit dem Kandidaten berichtet hatten, überraschte Jesus nicht sonderlich. Daß aber Jokanaan es ihnen gleichgetan hatte, verstimmte, ja verletzte ihn. Hatte man seinen Vetter womöglich dazu gezwungen? »Was war denn so tadelnswert an meinen Überlegungen?« wollte Jesus wissen. »Sind wir nicht alle auf der Suche nach Wahrheit, und kommt die Wahrheit nicht durch solche Überlegungen ans Licht?«
    »Die Wahrheit ist bereits gefunden.«
    »Und wie erfahre ich sie?«
    »Du mußt nur zuhören«, erwiderte Hezechäus.
    Sie gingen auf den Hof hinaus, wo der Abendwind die Fackeln flackern ließ und mit den Schatten einiger Personengrüppchen spielte, die sich dort gebildet hatten, um vor dem Schlafengehen ein paar Worte auszutauschen. Angeregte Diskussionen waren das sicher nicht, das sah Jesus auf den ersten Blick. Er hörte, wie einer dem anderen von seinem Problem erzählte, das er mit dem Brennen großer Tongefäße hatte. Jesus ließ seinen Blick über den Platz schweifen, weil er Jokanaan suchte, doch Hezechäus ermahnte ihn zur Eile.
    Der Rat tagte in einem Raum, der ganz in der Nähe des Saales der Schreiber lag. Zwölf Männer saßen da auf einem Podium, in ihrer Mitte jener ehrwürdige Greis, der den Vorsitz beim Abendessen geführt hatte. Prächtige Wandleuchter sorgten für eine mehr als großzügige Beleuchtung. Hezechäus führte seinen Schützling in den Raum und verkündete in feierlichem Ton: »Hier ist der Kandidat!« woraufhin er sich zurückzog. Jesus versuchte währenddessen in den Mienen der zwölf zu lesen. Ach, wie leidenschaftslos die Richter Qumrans doch auf das Ende der Welt warteten! Der Meister bat den Allmächtigen um Seinen Beistand, dann eröffnete der unmittelbar neben ihm sitzende Mann die Prüfungszeremonie.
    Name, Name der Eltern, Geburtsort, Alter, Beruf, Name der Geschwister, deren Berufe, Vettern und Verwandte... Welchen Unterricht er genossen habe. Welche Propheten Josef ihn gelehrt habe. An welche er sich am besten erinnerte. Ob er einige ihrer Prophezeiungen vortragen könne. Kannte er die Geschichte des Gottesvolkes? Erwartete er einen Propheten? Oder einen Messias? Was Josef zur Flucht aus Palästina veranlaßt habe. Warum er mit dem Tempelklerus gebrochen habe. Wie kam es, daß er so spät ein zweites Mal geheiratet hatte und warum? Was hatte Josef über die Essener erzählt? Wie hatte Jesus von ihnen erfahren, und was berichtete man von ihnen? Was er über ihre Lehre wisse. Konnte er lesen, schreiben, rechnen? Beherrschte er die hebräische Sprache? Griechisch? Es war schon später Abend, als die Befragung zu Ende ging.
    »Geh hinaus, aber warte vor der Türe!« wies ihn der Beisitzer an, der ihm die Fragen gestellt hatte.
    Jesus wartete im Saal der Schreiber. Konnte man diese Männer noch als richtige Juden bezeichnen? Was waren das nur für Juden, die ihr Volk in die Finsternis, die es umgab, zurückstießen? Er spielte schon mit dem Gedanken, diesen freudlosen Ort zu verlassen, um sich wieder nach Jerusalem zu begeben. Aber das hätte wohl oder übel geheißen, wieder seinem Beruf als Zimmermann nachzugehen; nichts hätte er dann dazugelernt. Und wenn er zurückging, was würde das schon ändern? Er seufzte. Begab man sich hinaus in die

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