Ein Mensch namens Jesus
Mithras, war der nicht selbst auch ein Messias gewesen? Konnte es mehrere Erlöser geben? Er war wie betäubt und wußte nicht mehr aus noch ein. Zu seinen Tischgenossen meinte er, er gehöre schon einer Religion an und könne sich keiner anderen mehr anschließen.
»Du meinst es sicher ehrlich, Fremder«, entgegnete ihm ein Bithyner, ein junger, dunkeläugiger, blonder Mann, mit einem bedrohlichen Lächeln auf den Lippen. »Aber ich muß mich schon sehr wundem, daß ihr Juden für die Römer Waffen tragt und für die Parther Geld zählt, euch jedoch einfach nicht eingestehen wollt, daß es noch andere Götter außer dem euren gibt.«
»Diejenigen, die neuerdings für die Römer kämpfen, tun das nur, weil man sie dazu zwingt«, verteidigte sich Jesus.
»So. Meinst du?« erwiderte der Bithyner mit immer breiterem Lächeln. »Schon zu Zeiten meines Großvaters — dreißig Jahre dürfte das hersein — folgten die Juden den Adlern der Liktoren. Einige waren sogar Offiziere, und in Syrien, Bithynien und Thrakien trugen manche bis in ihre alten Tage den römischen Helm.«
Schweigen. Vielsagende Blicke.
»Das bedeutet, Fremder«, fuhr der junge Mann fort, »daß sie auch am Sabbat kämpften und sich von eurem grausamen Gott abgekehrt hatten.«
»Unserem grausamen Gott?« rief Jesus.
»Ist denn ein Gott, der die Verfehlungen seiner Anbeter bestraft, indem er sie zu Menschenfressern werden läßt, kein grausamer Gott?« fragte der Bithyner ruhig.
»Wovon sprichst du?«
»Steht im >Deuteronomium< nicht geschrieben, Fremder: >Deine eigenen Kinder wirst du essen / Das Fleisch der Töchter und Söhne / Die dir der Herr dein Gott geschenkt hat / Denn eine Hungersnot wird ausbrechen / Wenn deine Feinde dich belagem Heißt es nicht in den Prophezeiungen des Jesaja an sein Volk: >Rechts ißt ein Mann nach Herzenslust / Bleibt aber weiter hungrig / Links schlingt ein anderer in sich hinein / Doch kann er seinen Hunger nicht stillen / Jeder verzehrt das Fleisch seiner eigenen Kinder / Und keiner verschont seinen Bruder Hast du bei Jeremias nicht gelesen: >Ich werde aus dieser Stadt Jerusalem einen Anblick des Schreckens und der Verachtung machen / So daß jeder der vorübergeht entsetzt sein wird / Und verächtlich das Gesicht verzieht beim Anblick ihrer Wunden / Ich werde die Menschen zwingen / Das Fleisch ihrer Söhne und Töchter zu essen / Gegenseitig werden sie sich zerfleischen... Sag mir, Fremder, steht in den Klageliedern nicht geschrieben: >Müssen die Frauen die Frucht ihres Leibes essen / Die Kinder die sie bis zur Geburt in sich tragen Hast du eure eigenen Bücher nicht gelesen, Fremder? Ist das ein Gott oder ein Dämon, der seinem Volk derartige Qualen auferlegt?«
Leichenblaß und zitternd rang Jesus nach Atem. »So werden nur die Menschen bestraft, die ihren Glauben verraten haben«, brachte er schließlich mit rauher Stimme hervor.
»Warum bist du dann so verstört, Fremder?« fragte der Bithyner. »Etwa, weil diese Strafen lieber geheimgehalten werden sollten, oder aber, weil es eines Gottes unwürdig ist, menschliche Wesen auf die Stufe von Tieren herabzusetzen? Hat dein Gott den Menschen nicht nach Seinem Ebenbild geschaffen? Geht man denn so mit seinem Ebenbild um?«
»Schweig!« schrie Jesus. »Wer bist du überhaupt?«
»Ich heiße Alexander«, antwortete der Bithyner, unentwegt lächelnd. »Ich lebe in der Dekapolis und wurde in der freien Stadt Philadelphia als Sohn eines bithynischen Vaters und einer jüdischen Mutter geboren. Meine Eltern unterrichteten mich in zwei Religionen, dem Mithras-Kult, dem mein Vater anhing, und der jüdischen Religion meiner Mutter. Mein Vater war tolerant und wollte mich meinen eigenen Glauben wählen lassen, sobald ich alt genug dafür war. Da wir in einer wahrhaft freien Stadt lebten, konnte mir meine Mutter, die selbst unterrichtet war, die Bücher vorlesen. In einer jüdischen Stadt _ das möchte ich nur für meine Freunde hinzufügen — wäre das unmöglich gewesen, weil dort die jüdischen Frauen die Bücher nicht einmal berühren dürfen. Als ich sieben Jahre alt war und die Geschichte von Jahwes Zorn auf Moses hörte, packte mich das Entsetzen. Du kennst doch diese Episode, nicht wahr, Fremder? Moses wußte nicht einmal, weswegen ihn sein Gott in der Nacht auf einer verlassenen Straße angegriffen hatte wie ein Übeltäter, mit der Absicht, ihn zu töten...«
Schweiß perlte auf Jesus’ Stirn.
»Und sicher weißt du auch«, fuhr der Bithyner mit
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