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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Bäume, die auf ihn gleichzeitig tröstend und geduldig wirkten, hielten ihn zurück. Er lehnte sich an einen niedrigen Ast und atmete durch. Seine Gedanken klärten sich allmählich, und er sah den Grund für seine Schlaflosigkeit. Falsch, alles war falsch! Die Menschen veränderten seine Taten und Worte zu etwas, was er nicht hatte tun und sagen wollen. Dieser Nikodemus zum Beispiel: Er hätte gewollt, daß Jesus und seine Jünger den Tempel in einem Handstreich eroberten. Und den Hohenpriester hinausdrängten! Ein guter Mann war dieser Nikodemus sicher; er hatte ehrlich gehofft, Jesus mit der Robe des Hohenpriesters bekleidet zu sehen. Und danach? Den Bazar reinigen und da und dort einige Priester auswechseln. Und dann hätten alle wieder von vorne angefangen. Man hätte wieder mit den Schmeicheleien begonnen, was zur altbekannten Korruption geworden wäre, die wiederum freche Pflichtverletzung und unverhohlene Vetternwirtschaft mit sich gebracht hätte. Und was wäre dann der Mann, der Hannas’ Mitra trüge? Ein schlechter Schauspieler oder ein Schuft. Wie konnten erfahrene Leute wie Nikodemus so unbesonnen sein? Und wie konnten sie außerdem annehmen, daß die Römer sich auf die Rolle der Zuschauer beschränkten?
    »Es ist nur eine interne religiöse Sache, erhabene Ritter, nichts, was euch alarmieren sollte, nur eine von diesen inneren jüdischen Streitigkeiten.«
    »Was sagt ihr? Dieser Mann, der sich zum Hohenpriester ernannt hat, glaubt ihr, wir wissen nicht, daß man ihn den Messias nennt, und glaubt ihr, wir ahnen nicht, was das für euch bedeutet? Er ist ein König! Sollen wir also die Hände in den Schoß legen, während ihr einen König in den römischen Provinzen wählt? Wer ist denn berechtigt, den Tetrarchen, den Ethnarchen und die römischen Gouverneure zu vertreten? Was ist das für eine Geschichte? Ihr habt bis morgen Zeit, Hannas wiedereinzusetzen! Wir wollen keinen Messias!«
    Jesus hob die Schultern. Inzwischen teilten auch die Jünger Nikodemus’ Hoffnungen. Sie wollten einen Helden, einen David, Salomo, Josua, einen Alexander der Juden! Auch einen Propheten, Jeremia, Jesaja, Ezechiel, vereint in einem einzigen! Sie hörten den Erklärungen nicht zu, sie waren taub für die leiseste Erwähnung, daß er nicht der Führer einer Revolte gegen die Römer sei. Und wenn er sie verließ, war er allein, aber wenn er bei ihnen blieb, war er eine Geisel, wie er es tatsächlich jetzt schon war. Er war noch mehr allein, als wenn er einsam gewesen wäre! Nur wenige Monde würden aufgehen, bis sie in ihrem Starrsinn wieder versuchen würden, ihn in einen Widder zu verwandeln, mit dem sie den Tempel angreifen konnten. Er, ein Widder, wo er doch eher ein Opferlamm war! Ihn schauderte. Kopflos, blind trieben sie ihn in die Katastrophe! Er wollte leben! Er mußte sie für einige Zeit fortschicken, damit er aufatmen und sich wieder frei ausdrücken konnte. Redete er denn so schlecht, daß sie nicht begriffen, was er sagte? Er stellte sich ihre Gesichter vor: den schwerfälligen Simon, voller tugendhafter Empörung, ein echter Galiläer, auf ewig unempfindlich für judäische Feinsinnigkeiten, besessen von seinem Haß auf die Geistlichkeit. Thomas, der Affenhafte, der Halb-Orientale, den die Griechen geschliffen hatten und den die Erkenntnis des Unerreichbaren geformt hatte, lebhaft und skeptisch bis zum Zynismus. Judas Iskariot, undurchsichtig, getrieben von uneingestandenem Ehrgeiz, mit der Seele eines Grobians in der Haut eines Zeloten, zu intelligent, als daß er nicht verstanden hätte, daß die Zeloten es zu nichts bringen würden, aber nicht intelligent genug, um zu erahnen, daß er, Jesus, den engen Grenzen jüdischer Probleme entkommen wollte. Andreas, das verschwommene Abbild seines Bruders Simon. Simon, Sohn des Judas, ungehobelt und in den Regeljahren der Revolte steckend. Und die anderen, die jungen, Jakobus, Johannes, Natanael, Bartolomäus, Barnabas, Thaddäus, junge Abenteurer, die voller Ungeduld darauf warteten, in einer Heldensage mitzuwirken! Ahnten sie, mit Ausnahme von Thomas, wirklich nicht, was sein Ziel war? Die Menschen zu lehren, jeden Augenblick in Gottes Gegenwart zu leben, jenseits von Regeln und Riten, von Büchern und Geistlichkeit, Priestern und Tempel — hatten sie das nicht begriffen? Folgten sie einem Menschen ihrer Einbildung?
    Er griff seufzend nach einem Ast des Olivenbaums. Vielleicht hatten sie es auch verstanden und wollten nur das Beiwerk ihrer Religion nicht

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