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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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des Schweigens. Dann erhob sich Gedalja und schritt auf der kleinen freien Fläche auf und ab, die sich in der Quadernhalle, ihrem Tagungsort, zwischen der Ratstribüne und der Balustrade befand, hinter der gewöhnlich Zeugen und Angeklagte erschienen. Heute traten natürlich keine Zeugen auf, auch keine Angeklagten und Wachen, von den zwei diensthabenden Leviten an der Pforte einmal abgesehen.
    »Unser Mitbruder, Josef von Arimathäa, würde gern wissen, ob die Schechina des Herrn einem Menschen zuteil werden kann, der sich in mancherlei Hinsicht einer solchen Ehre als unwürdig erweist.«
    »Ein Eunuch zum Beispiel?« fragte Esra ben Matthias.
    »Nein, an einen Eunuchen dachte ich nicht«, entgegnete Josef. »Gut«, meinte Esra mit seiner rauhen Stimme, »ich hatte auch nicht bezweifelt, daß du dich an die Worte des Leviticus erinnerst. An wen dachtest du?«
    »Ich möchte wissen, ob die Schechina einem ganz gewöhnlichen Menschen zuteil werden kann.«
    »Die Schechina ruht auf der westlichen Tempelmauer«, erklärte Levi ben Pinhas, wobei er an seinem Gebetsriemen herumfingerte, »folglich kann man annehmen, daß sich der Geist des Herrn über all jene senkt, die sich in der Nähe dieser Mauer aufhalten oder an ihr entlanggehen. Aber diese Gnade widerfahrt ihnen nur, solange sie unmittelbar an dieser Mauer sind. Jedermann empfängt also vorübergehend die Schechina, deshalb begeben sich auch alle Menschen, die eine schwierige Entscheidung zu treffen haben, an diese Mauer. Da du das alles weißt, Josef, denkst du vermutlich an ein längeres Verweilen der Schechina, eine Gnade, die nur Hohenpriestern und Auserwählten widerfährt. Gehe ich richtig in dieser Annahme?«
    Betont bedächtig fächelte Hannas seinem Gesicht Kühlung zu.
    »Ich dachte tatsächlich an eine längerwährende Gnade«, antwortete Josef.
    »Bevor wir überhaupt einmal die Möglichkeit eines derart außergewöhnlichen Falles in Betracht ziehen«, bemerkte Esra, wobei er sein Kinn wichtigtuerisch tief in die Brust vergrub, »würden wir gern erfahren, wie du denn in Anwesenheit des Menschen, von dem du nicht genau weißt, ob er die Schechina empfangen hat oder nicht, nachprüfen willst, ob ihm diese Gnade auch wirklich durch Gott widerfahren ist, oder ob sie nicht vielmehr eine Gunstbezeigung des Teufels ist?«
    »Nun ja, ich vermute...«, begann Josef von Arimathäa mit leicht ärgerlichem Unterton in der Stimme.
    »Mein Meister Mattathias hat mich gelehrt, niemals Vermutungen anzustellen!« fiel ihm Esra ins Wort. »Entweder stehen die Dinge im Gesetz geschrieben oder nicht!«
    »Dein vortrefflicher Meister Mattathias hat dir aber sicherlich auch beigebracht, einen Amtsbruder beim Sprechen nicht zu unterbrechen«, wies ihn Josef zurecht. »Wie ich schon sagte, man muß einen Baum nach seinen Früchten beurteilen, und es ist nicht schwer, einen mit der Schechina begnadeten Menschen von einem vom Teufel Besessenen zu unterscheiden. Meine hier anwesenden Amtsbrüder«, sagte Josef, indem er sich nach rechts, dann nach links wandte, »glauben sicher nicht, daß eine Verwechslung möglich ist.«
    »Darüber läßt sich streiten!« rief Esra aus und strich sich mit hintergründigem Lächeln durch den Bart. »Haben all unsere Meister uns denn nicht gelehrt, daß es erlaubt, wenn auch gefährlich ist, den Schedim anzurufen, um unheilbar Kranke mit Zauberkraft zu behandeln? Mein Meister Mattathias mußte einmal zur Heilung einer Frau durch einen Magier, der den Schedim angerufen hatte, Stellung nehmen. Die Frau, die an der Fallsucht litt, wurde geheilt, aber ihr Ehemann wollte keinen Geschlechtsverkehr mehr mit ihr haben, bevor sie nicht für rein erklärt wurde und der Magier von jeglicher Schuld freigesprochen war...«
    Hannas saß mit halb geschlossenen Augen da und fächelte sich immer noch Luft zu.
    »... tja«, schloß Esra, »die Frau wurde für rein erklärt und der Magier freigesprochen, wenn auch mit dem Hinweis, leichtfertig gehandelt zu haben. Aber in dem von meinem geschätzten Mitbruder, Josef von Arimathäa, angenommenen Fall — handelt es sich dabei tatsächlich nur um einen angenommenen Fall? — sieht die Sache anders aus, denn man müßte zwischen der Schechina und der Auswirkung des Schedim unterscheiden können. Hierzu wiederum bedürfte es der Feststellung, ob die von uns und von Zeugen wahrgenommenen Zeichen wirklich den auf eine göttliche Absicht hinweisenden Erfordernissen entsprechen. Der Allmächtige verleiht die Schechina

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