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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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mit der Wimper zu zucken, mit ansehen würden? Daß Rom, wenn ihm die Nachricht einmal zu Ohren gekommen ist, so dumm wäre, nicht zu begreifen, daß dies unweigerlich die sofortige Wiedervereinigung der fünf Provinzen unter jüdischer Oberherrschaft nach sich ziehen würde, ebenso wie die augenblickliche Aberkennung der den Ethnarchen, Tetrarchen, Prokonsuln und anderen Beauftragten vom Kaiser übertragenen Befugnisse? Glaubt ihr, daß ein einigermaßen vernunftbegabtes Kind nicht begreift, daß hiermit das Ende einer römischen Provinz eingeläutet wird? Und gibt es auch nur einen unter euch, der nicht erkennt, daß diese Machtübertragung einer Kriegserklärung gleichkäme? Daß die römischen Legionäre unser verbliebenes jüdisches Erbe in ein paar Tagen hinweggefegt haben würden? Daß ich Israels Ende heraufbeschwören würde, wenn mich plötzlich die wahnwitzige Idee überkäme, meinen Sitz tatsächlich an Jesus abzutreten? Sollen das die Vorschläge weiser Männer wie euch sein? Antwortet mir!«
    Hannas’ Kopf war hochrot angelaufen, aber seinen Fächer ließ er diesmal ruhen. Alle Anwesenden, reife Männer ebenso wie weißhaarige Greise, gebildete und einflußreiche Männer, Verbündete, Kritiker und Feinde des Hannas, alle waren sie zutiefst verblüfft. Hannas hatte also insgeheim schon längst die Fakten der durch Jesus neugeschaffenen Situation erwogen und mit bewundernswerter Klarheit seine Schlußfolgerungen daraus gezogen. Selbst diejenigen unter den Ratsmitgliedern, die ihn verabscheuten, mußten vor seiner Überlegenheit den Hut ziehen. Ihr Hoherpriester, der Meister des Sanhedrin und des Tempels, der Lenker des Schicksals seines Volkes, war unumstritten seines hohen Amtes würdig.
    »Unser erhabener Meister hat recht«, meinte Nikodemus, »er hat vollkommen recht. Und dennoch...«
    »Dennoch was?«
    »Ich kann den Gedanken einfach nicht verdrängen, daß es früher oder später tatsächlich zu einem großen Konflikt kommen wird.« Josef von Arimathäa sah seinen Ratsbruder bedrückt an. Nikodemus ben Bethyra zupfte an den Falten seines Mantels herum. Esra fuhr sich mit der Hand über den Kopf.
    »Du bist diesem Mann begegnet, Nikodemus, ja, ich weiß, daß du ihm begegnet bist. Wir wollen jetzt auf Vorwürfe und Tadel verzichten. Wie denkst du persönlich über ihn?«
    »Ich kann weder sagen, ob er die Schechina empfangen hat, noch ob er der Messias ist«, antwortete Nikodemus bedächtig. »Mir ist einzig und allein bewußt, daß eine geheimnisvolle Macht von ihm ausgeht. Und ich möchte in aller Deutlichkeit daraufhinweisen, daß er, entgegen der Meinung einiger hier Anwesender, nicht den Vorsitz im Sanhedrin anstrebt. Er will dir deinen Platz nicht wegnehmen. Der Gedanke ist ihm sogar zuwider. Er will einfach... alles ändern!«
    »Was heißt, alles?« fragte Hannas.
    »Er will, scheint mir — möglicherweise habe ich ihn auch falsch verstanden — , er will die Menschen von innen her ändern. Verzeiht, aber ich kann nicht in seinem Namen sprechen. Ihr tätet besser daran, ihr alle, ihn selbst nach seinen Absichten zu fragen. Aber ich weiß, daß die ihm innewohnende Stärke mächtig genug ist, um ihm die Kraft von zehntausend Widdern zu verleihen, sobald er gegen eine Wand stößt.«
    »Bieten wir ihm doch eine Stelle im Tempel an«, schlug der Schriftgelehrte Joasar, der sich bisher noch nicht zu Wort gemeldet hatte, vor, »zum Beispiel die Umgestaltung des Bazars.«
    »Genau das wär’s, lassen wir den Fuchs in den Hühnerstall«, bemerkte Gedalja dazu.
    »Ich kann euch gleich sagen, daß er keine Stelle im Tempel annehmen wird«, winkte Nikodemus ab.
    »Es führt kein Weg daran vorbei«, murmelte Hannas leise, jedoch für alle verständlich, »wir müssen ihn so schnell wie möglich loswerden. Sonst stecken wir bald in größten Schwierigkeiten.«
    Josef von Arimathäa fuhr hoch. »Willst du ihn etwa umbringen lassen?« fragte er.
    »Nein, wir müssen ihn öffentlich verurteilen und seinen Einfluß zunichte machen. Wir müssen ihn festnehmen und aburteilen.«
    »Vielleicht sind wir bei der Gerichtsverhandlung in diesem Punkt nicht alle einig«, meinte Levi ben Pinhas ruhig.
    »Es finden sich unter uns genügend verantwortungsbewußte Männer, die wissen, was für die Rettung des Tempels und Israels zu tun ist«, entgegnete Hannas. Dann stand er ruckartig auf, so daß seine schmächtige Gestalt die anderen überragte, und rief kämpferisch in die Runde: »Bist du für uns, Jokanaan? Ja!

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