Ein Mensch namens Jesus
bezeichnen. Aber er ist vor allem deswegen bekannt, weil er sich für den Messias ausgibt.«
»Was ist ein Messias?« erkundigte sich Pilatus. Er meinte die frage offenbar ernst, warf auch seinem Sekretär erneut einen fragenden Blick zu. Dieser bedeutete ihm, daß er das ebenfalls nicht wisse.
Na ja, dachte Herodes, er ist eben kein Jude und erwartet auch keinen Erlöser. Und der Tetrarch versuchte so knapp wie möglich zu erklären, daß ein Messias jemand sei, der gleichzeitig die Salbung zum König und zum Hohenpriester empfangen habe.
»So wie dein verstorbener Vater?« fragte Pilatus.
»Wie?« murmelte Herodes überrascht, und suchte in Pilatus’ Miene forschend nach einem Zeichen des Spottes oder der Belustigung. Herodes der Große ein Messias! Das Skelett dieses Schurken würde sich in seinem Grab vor Lachen schütteln bei dieser Unterstellung. »Wahrscheinlich«, sagte Herodes, während er sich selbst das Lachen verbeißen mußte, »kann mein Vater mit einem Messias verglichen werden. Es besteht nur der kleine Unterschied, daß der Messias als Gottgesandter gilt.«
»Ich verstehe.« Pilatus nickte. Er verstand rein gar nichts und verlor allmählich den Boden unter den Füßen. Diese Geschichten von einem einzigen jüdischen Gott verwirrten ihn stets. »Ja, und kommt das oft vor, daß Gott diese Leute schickt?«
Unglaublich! dachte Herodes. Und dieser Esel ist Statthalter von Judäa! Er lächelte milde. »Noch niemand hat je einen Messias gesehen. Dennoch erwarten die Juden einen«, erklärte er.
»Weshalb?« erkundigte sich Pilatus.
»Er wäre ein vollkommener König, der Palästina in ein Paradies verwandeln könnte«, entgegnete Herodes, dem langsam der Geduldsfaden riß. Die Pest über Manassah! Diese Ratte hatte recht gehabt, was Pilatus betraf! »Und außerdem«, fügte Herodes hinzu, »gilt der Messias als ein König, der Israel von der Fremdherrschaft befreien würde.«
Pilatus machte einen ratlosen Eindruck. »Erwarten die Galiläer auch einen Messias?« wollte er wissen.
»Na und wie!« rief Herodes. »Sie zählen sogar zu Jesus’ glühendsten Anhängern.«
Pilatus kratzte sich am Kinn und sagte dann: »Ich könnte ja verstehen, wenn die Judäer, die keinen König haben, einen erwarten, aber die Galiläer! Haben sie nicht in gewisser Hinsicht einen König, Herodes? Sitzt nicht der Tetrarch von Galiläa mir im Augenblick höchstpersönlich gegenüber? Ist er denn kein Jude? Hat sein geachteter Vater nicht das den Juden, wie man mir sagte, teuerste Denkmal errichten lassen, den Tempel von Jerusalem? Ich verstehe diese ganze Angelegenheit einfach nicht.«
Herodes bemühte sich, Ruhe zu bewahren. »Ich habe noch vergessen zu sagen, daß der Messias ein König davidischer Herkunft ist«, bemerkte er.
»Und welchen Vorteil bringt das?« fragte Pilatus, der immer weniger verstand.
»Die Legitimität«, erklärte Herodes seufzend. »Um mich kurz zu fassen, erhabener Pontius Pilatus, wenn es Jesus und seinen Anhängern gelingt, allen Juden glaubhaft zu machen, daß er der Messias ist, also ein König aus dem Geschlecht Davids, dann stellt das dich, Hannas, mich und ebenso Herodes Philippus vor ein heikles Problem.«
»Ein Problem von Hannas kann nicht mich betreffen«, wandte Pilatus ein. »Ich kümmere mich nicht um religiöse Belange. Die Autorität des Hohenpriesters und des Sanhedrins reicht meiner Ansicht nach aus, um Glaubensstreitigkeiten beizulegen. Wir haben sie ermächtigt, eine Tempelpolizei aufzustellen, und es ist wohlbekannt, daß die Befehlsgewalt des Cäsaren nicht in Entscheidungen eingreift, die in Sachen jüdischer Religion getroffen wurden.« Pilatus hielt inne und ließ seinen Blick auf dem Gast ruhen. »Bevor ich mir irgendeine Maßnahme gegen Jesus überlege, müßte ich sicher sein, daß er einen politi-sehen Aufstand anstrebt. Soviel ich weiß, scheint dieser Mann ein, äh, Mystiker zu sein, oder aber« — Pilatus verfiel ins Griechische — , »ein >mustes<, ein Eingeweihter. Du scheinst zu meinen, daß der Anspruch auf den Königstitel ein Unsinn ist. Wenn dem so ist, dann zweifle ich daran, daß er auch nur einen Juden dazu anstachelt, sich gegen deine oder meine Männer zu erheben. Aber falls es soweit kommt, müßtest du natürlich geeignete Maßnahmen ergreifen.« Der Prokurator rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. »Trotzdem gilt jener Jesus als guter Heilkundiger. Mir wurde berichtet, daß er sogar Blinde heilt. Ich könnte ihn eigentlich selbst
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