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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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geborener Vagabund, so könnte ihm auch niemand seine Untreue vorwerfen.«
    »Aber mir scheint, du hast deine Wahl bereits getroffen«, bemerkte Kaiphas, dem seine neue Verantwortung noch immer nicht ganz geheuer war. Er bemühte sich, Gedaljas Redlichkeit und Sachverstand vorsichtig gegeneinander abzuwägen.
    »Darauf kommen wir noch«, entgegnete Gedalja, während er im Raum auf und ab schritt. »Zunächst stellt sich die Frage: Was wollen wir sagen? Wir werden dem einen oder dem anderen gewiß nicht vorschlagen, seinen Meister ganz einfach zu verraten. Sie verabscheuen uns alle, und außerdem haben diese Kerle auch eine gewisse Ehre; hohnlachend würden sie uns zum Teufel schicken. Man muß ihnen sagen, daß wir einen starken Mann brauchen, der Jesus’ Nachfolge an der Spitze der zerschlagenen Gruppe antritt, da Jesus seine Chance vertan hat.«
    »Das sollen wir ihnen sagen?« fragte Kaiphas verblüfft.
    »Genau«, entgegnete Gedalja. »Eine gut organisierte aufständische Gruppe, die aus rein religiösen Motiven handelt, sei für uns lebensnotwendig, werden wir ihnen sagen. Mit ihrer Hilfe könnten wir die Kontrolle über Judäa wiedererlangen, da es auch uns unerträglich sei, daß über die Provinz, in der der Tempel steht, ein Heide regiert. Wir werden durchklingen lassen, daß einige Anschuldigungen aufgrund des Sittenverfalls während des Passah-Festes, ein paar Skandale, die Verhaftung einiger zu grell gekleideter Prostituierter schon genügen würden, um Wunder zu wirken, das heißt, einen Aufstand auszulösen. Der wiederum gäbe uns Gelegenheit, mit Rom zu verhandeln. Wir würden darlegen, daß die Verwaltung des Statthalters wegen seines Mangels an Durchsetzungsfähigkeit gefährlich und es außerdem einfach undenkbar sei, daß die Heilige Stadt selbst von einem Heiden regiert werde, während die Verantwortung für die Provinzen im Norden von Juden, nämlich den Tetrarchen Herodes Antipas und Herodes Philippus, getragen würde. Wir werden außerdem anführen, daß der Friede in Jerusalem nie bedroht war, solange ein Jude, der Vater der beiden Tetrarchen, Herodes der Große, dort die Macht innehatte.«
    Fast reglos saß Kaiphas auf seinem Stuhl. Mit wachsendem Staunen hörte er zu. Und mit Bewunderung. Dieser Gedalja war wirklich ein unbezahlbarer Ratgeber. Hannas hatte recht gehabt, ihn ihm gleichsam aufzudrängen. »Aber glaubst du, daß sie uns das abnehmen?« fragte der Hohepriester.
    »Abnehmen?« wiederholte Gedalja fast gekränkt. »Diese Geschichte ist absolut glaubwürdig. Wenn es während der Festtage zu einem Aufstand kommt, und der Sanhedrin durch seinen Einfluß wieder für Ordnung sorgen kann, dann würde es einem einigermaßen redegewandten Wortführer nicht schwerfallen, Rom davon zu überzeugen, daß es im kaiserlichen Interesse sei, zum alten Stand der Dinge zurückzukehren, das heißt, den Statthalter abzuberufen und dem Hohenpriester wieder die weltliche Macht zu übertragen, der dann auch Fürst von Judäa wäre.«
    Gedalja blickte Kaiphas prüfend an, und Kaiphas sah forschend in Gedaljas Gesicht. Der erste suchte nach einem Zeichen des Einverständnisses, der zweite war bemüht, die Grenze zwischen der Lüge, die man einem der beiden Abtrünnigen aufzutischen gedachte, und dem tatsächlichen politischen Vorhaben zu erkennen.
    »Ist es wirklich glaubwürdig?« fragte Kaiphas. »Warum sollte einer der beiden Jünger ein Spiel spielen wollen, aus dem nur wir Nutzen ziehen?«
    »Wenn es sich um ernstzunehmende Leute handelt«, erwiderte Gedalja, »können sie einem Plan gegenüber nicht gleichgültig sein, dessen Gelingen uns vom römischen Joch befreien würde und den Juden die Herrschaft über Jerusalem und Judäa zurückgäbe. Wenn sie nur vom Ehrgeiz angestachelt sind, bieten wir ihnen irgendeinen ehrenamtlichen Posten an, wenn’s sein muß sogar einen Sitz im Sanhedrin. Wir dürfen nicht vergessen, daß sie jetzt enttäuschte, vom Gefühl des Scheiterns geplagte Gesetzlose oder Landstreicher sind und daß sie jeden Vorschlag, der ihnen neue Geltung verschaffen könnte, mit größtem Interesse aufnehmen würden.«
    »Aber sie werden uns entgegenhalten, daß wir uns ihnen gegenüber wie Feinde verhalten haben!« warf Kaiphas ein.
    »Falsch!« rief Gedalja aus. »Wir werden sie daran erinnern, daß wir den Skandal mit den Tempelhändlern nicht weiter verfolgt haben, obwohl wir befugt gewesen wären, sie auf der Stelle festnehmen zu lassen.« Er lächelte. »Ich bin es nämlich, der

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