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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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ist anständig und der dort nicht. Doch wenn man sich die Menschen aus der Nähe besieht... Als einen grobschlächtigen Schurken hatte er sich Judas vorgestellt; er hatte sich getäuscht. In dem Burschen steckte mehr.
    »Du willst Israel befreien«, bemerkte er, halb feststellend, halb fragend. »Aber du bist schlecht unterrichtet.«
    Judas reagierte nicht.
    »Ich spreche mit dir«, sagte Kaiphas.
    »Ich habe dich schon gehört. Ich bin schlecht unterrichtet.«
    »Gib nicht auf. Hilf uns lieber.«
    »Euch soll ich helfen?«
    »Ja, uns, den hohen Tieren.«
    Judas verzog das Gesicht.
    »Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem, nicht wahr?«
    »Ich nehme es an.«
    »Stell dir folgendes vor: In einer knappen Woche trifft er hier ein. Das Passah-Fest hat gerade begonnen. Er fängt an zu reden, rasch versammelt er eine Zuhörerschar um sich. Die Leute behaupten, er sei der Messias, und was immer er auch sagt, ist für sie die Offenbarung schlechthin. Er ruft dazu auf, Unfrieden zu stiften. Brennt den Tempel nieder, verjagt die Priester und lauter solche Sachen, nicht wahr? Ich frage dich, was ist die notwendige Folge davon?«
    »Ein Aufstand.«
    »Sehr richtig«, bestätigte Kaiphas in fast mildem Ton. »Aufstände, Mord und Totschlag. Blut in den Straßen. Feuersbrünste. Wie reagieren die Römer darauf? Natürlich schreiten sie ein, schlagen nieder und zerstückeln alles, was sich regt. Die Ordnung ist wiederhergestellt. Wer hat gewonnen? Die Römer! Da soll noch einer von der Befreiung Israels sprechen! Das römische Joch lastet schwerer als je zuvor auf Jerusalem und Judäa. Aber das kann verhindert werden.«
    »Wie?«
    »Hilf uns, Jesus festzunehmen. Du hast dich bereits von ihm losgesagt.«
    Judas erhob sich, der Ekel stand ihm im Gesicht geschrieben. Kaiphas und Gedalja sahen ihn unverwandt an.
    »Weißt du was, Gedalja?« meinte Kaiphas plötzlich. »Mir liegt nichts mehr an der Sache. Dieser Mann will nur den Einsatz erhöhen. Was hat er in Händen, frage ich dich? Nichts! Ein Hanfseil oder Nägel. Aber er hat seine Prinzipien, dieser Judas Iskariot, er ist ein ehrbarer Mann, denkst du nicht auch? Er wird sich sehr gut verteidigen, wenn er erst in den Händen der Römer ist. Wir sind nicht würdig, mit ihm zu verhandeln, nicht wahr, Gedalja? Also müssen wir uns seinen Wünschen beugen. Hol die Wachen!«
    Judas erbleichte und biß die Zähne aufeinander. »Nein!« murmelte er. »Nein!«
    Kaiphas’ Gesichtsausdruck wurde plötzlich hart.
    »Deine letzte Chance«, sagte er. »Wir haben keine Zeit zu verlieren, Judas. Und auch deine Zeit ist wertvoll, denn du kannst dein Leben in wenigen Minuten retten. Überleg es dir gut diesmal. Weißt du, was dein Problem ist, Judas? Du bist wie jene Granatäpfel, die zur Hälfte gut und zur Hälfte faul sind. Einerseits bist du ein ganz gewöhnlicher Übeltäter, andererseits möchtest du Israels Fesseln sprengen. Einerseits bist du der Anführer einer skrupellosen Bande mit hochfliegenden Plänen, andererseits glaubst du, für das Wohl Israels gearbeitet zu haben, falls es dir gelingen sollte, die Mächtigen zu stürzen. Das Ärgerliche ist nur, Judas, daß dir, obwohl ein Tyrann in dir steckt, das eine fehlt, was für einen Machtmenschen unverzichtbar ist, nämlich die Fähigkeit zu faszinieren. Du bist ein ungehobelter Kerl. Deine Rede ist nicht ausgefeilt, deine Nase nicht fein gebildet, du hast Hände und Füße wie ein Bauer, und dein Gang ist der eines Mannes, dem das nötige Selbstbewußtsein fehlt. Keinerlei Aussichten, Judas«, meinte Kaiphas und schüttelte mitleidig den Kopf. »Wenn das Glück dir nicht zu Hilfe kommt, bist du erledigt.«
    Er warf Gedalja einen fragenden Blick zu. Der reagierte nicht, da er völlig überrascht war; er hatte Kaiphas wirklich unterschätzt.
    »Wir sind deine Chance, Judas«, fuhr Kaiphas fort. »Wenn du uns bei Jesus’ Festnahme hilfst, könntest du später versuchen, seine Nachfolge anzutreten. Ich meine damit nicht, daß du der Anführer der kleinen Schar werden sollst, die ihm bis vor wenigen Tagen nicht von der Seite wich. Ich spreche von der Gesamtheit seiner Anhänger, von der Menge, die er in Kafarnaum vor den Kopf gestoßen hat. Das könnte doch deinen Ehrgeiz befriedigen, oder?«
    Judas rührte sich nicht.
    »Aber natürlich müßte das auch uns dienlich sein, Judas. Du fragst dich wahrscheinlich, wie du uns eine Hilfe sein kannst, indem du den Platz unseres Feindes einnimmst. Das ist ganz einfach: Nicht die Heuchelei der

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