Ein Mensch namens Jesus
Mächtigen sollst du beklagen, sondern ihre Verwirrung und Entgleisung. Denn wir machen nicht gemeinsame Sache mit den Römern, wie du denkst. Nur Dummköpfe und Ignoranten würden ein solches Märchen glauben. Pilatus verabscheut uns, Herodes ebenfalls. Wenn wir mit den Römern unter einer Decke steckten, brauchten wir dich nicht und müßten uns auch wegen Jesus keine Sorgen machen. Falls du ihm nachfolgen solltest, müßtest du eines tun, nämlich den Niedergang des Gesetzes beklagen, den die Fremdherrschaft in unserem Land heraufbeschworen hat.«
»Aber genau das machen die Zeloten doch!« wandte Judas ein. »Und Jesus hat viele Menschen um sich geschart, nicht nur, weil er dies oder jenes anprangert, sondern auch, weil er Wunder vollbringt.«
»Die Zeloten sind wie Fliegen, die einen Schakal angreifen«, entgegnete Kaiphas. »Und Fliegen haben noch nie einen Schakal umgebracht. Was die Wunder angeht, so kann ich nur sagen, daß Magier und Betrüger auch Wunder wirken, ohne deshalb gleich für Erlöser gehalten zu werden. Wir könnten sehr wohl den Magier Simon darum bitten, den Platz einzunehmen, den wir dir vorschlagen. Simon hat keinen sehnlicheren Wunsch, als für den Messias gehalten zu werden.«
»Simon hat seinem jüdischen Glauben abgeschworen«, hielt ihm Judas entgegen. »Er wäre euch keinerlei Hilfe.«
»Deshalb wenden wir uns an dich«, schaltete sich Gedalja ein. »Du müßtest das tun, was Jesus nicht getan hat. Klar und deutlich sprechen und verlangen, daß der Tradition, die die Krone Israels und das Amt des Hohenpriesters vereint, wieder Geltung verschafft wird.«
»Aber in einem gewissen Sinn macht das Jesus ja auch«, meinte Judas.
»Mag sein, aber seine ehrgeizigen Pläne sind zum Scheitern verurteilt, wenn er danach strebt, sowohl König als auch Hoherpriester zu werden. Dazu muß man schon eins von beiden sein; er aber ist keins von beiden. Lediglich ein Thronräuber.«
Judas dachte über Gedaljas Antwort nach. »Was soll ich tun?« fragte er schließlich.
»Man muß ihm den Einfluß, den er unberechtigterweise über die Bevölkerung gewonnen hat, entziehen, ihn also gewissermaßen vom öffentlichen Leben ausschließen. Dazu ist es notwendig, daß du Jesus wieder aufsuchst und uns über die näheren Umstände, das Wo, Wie und Wann unterrichtest. Den Rest übernehmen wir. Danach liegt es an dir, dein Können unter Beweis zu stellen. Welche Taktik du verfolgen willst, bleibt ganz dir überlassen, vorausgesetzt, du greifst weder den Tempel noch die Priester an und verursachst kein Blutvergießen«, erwiderte Gedalja und fügte nach einer Weile noch hinzu: »Es bleibt dir gar nichts anderes übrig.«
»Und ihr werdet mich nicht an die Römer verraten?«
»Da du uns ja hilfst, würden wir gegen unsere Interessen handeln, wenn wir, wie du befürchtest, ein doppeltes Spiel spielen sollten.« Judas blieb nachdenklich.
»Du bist auf dem Holzweg«, sagte Kaiphas, »wenn du denkst, es ginge hier um einen Handel, deine Freiheit gegen einen Verrat. Es geht allein um die Interessen Israels.«
Judas machte ein überraschtes Gesicht.
»Laß uns alles klarstellen«, sagte Gedalja. »Der Mann, den wir loswerden müssen, ist kein Herold Israels. Wenn er einen Auftrag hatte, dann hat er ihn verspielt. Er hatte Jünger und hat sie nun verloren. Wenn er zum Passah-Fest kommt und wieder eine Rede über die Notwendigkeit, ihn zu essen, halten sollte, würde er nicht nur sich selbst, sondern sogar die messianische Idee bloßstellen. Das können wir nicht akzeptieren, und auch du hast es nicht akzeptiert. Wenn wir so niederträchtig wären, wie du eben anzunehmen schienst«, sagte Gedalja, während er sich mit sehr ernstern Gesicht vor Judas hinstellte, »würde es genügen, ihn einfach in Ruhe zu lassen. Er braucht nur zu kommen und zum Volk zu sprechen, ihm zu verkünden, daß sein Fleisch das Brot des ewigen Lebens sei, und innerhalb von ein paar Stunden hat er das Ansehen verloren, das er in drei Jahren mühsam gewonnen hat. Wenn man ihn nicht gar steinigt!«
Mit dieser Argumentation hatten sie Judas offensichtlich für ihre Sache gewonnen. Er nickte.
»Falls er etwas geschickter vorgehen sollte und keine solche Rede hält, wenn es ihm vielleicht gelingt, die Massen zu begeistern und Unruhe zu stiften, so kann das doch nichts am Ausgang der Angelegenheit ändern. Denn du weißt ganz genau, Judas, daß Jesus sich nun als Verlierer, nein, sogar als Opfer betrachtet. Warum sollte er sich sonst mit
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