Ein Mensch namens Jesus
auf dem Lande zu verstecken. Dann war der Esel aus dem Stall geholt, ein wenig Futter in einen Sack gestopft und die Tür hinter den Flüchtlingen verriegelt worden.
Denn Flüchtlinge waren sie. Ein Indiz im Haus hätte die Hast und die zitternden Hände verraten können: Eine Schüssel Mehl, die vom Tisch gefallen war, hatte wie Schnee den Boden weiß überpudert. Mehl, aus dem man Brot machen wollte.
IV.
Alexandria
Nachdem sie Jerusalem bei Nacht und Nebel verlassen hatten, schlug Josef die Straße ein, die im Inneren des Landes nach Süden führte. Bei Morgengrauen erreichten sie Hebron. Er gönnte sich und Maria keine Ruhepausen, und Maria, die das Kind in ihren Umhang gehüllt hielt, wagte nicht einmal, vor sich hin zu dösen, um nicht mitsamt dem Kind vom Esel zu fallen. Als die drei Flüchtlinge am Nachmittag das Wadi des Ghazze unweit von Beerscheba überquerten, waren sie nahe der Erschöpfung. Doch nun waren sie außer Gefahr; sie hatten Idumäa erreicht, das zwar eine einzige Wüstenei, aber sicher war. Josef bereitete hinter einer Düne ein Lager. Er zündete ein Feuer an, gab Maria etwas von dem Brot und dem Käse, die er in ein Tuch gewickelt hatte, aß selbst ein wenig, warf seiner Frau und dem Kind eine warme Decke über die Schultern und sah ihnen zu, wie sie einschliefen. Er bemühte sich, wach zu bleiben, doch das Alter und die Erschöpfung forderten ihren Tribut, und auch ihm fielen bald die Augen zu. Wüstenspringmäuse huschten durch die Gegend und hielten hie und da an, um, hoch aufgerichtet und auf ihre zierlichen Hinterbeine gestützt, fasziniert das Feuer zu beobachten. Ein Schakalpärchen witterte neugierig die fremdartigen Gerüche, die ihnen der Nachtwind zutrug. Doch offensichtlich klang Josefs gewaltiges Schnarchen so bedrohlich, daß sie sich nicht näherten und statt dessen nach einem Wüstenkaninchen jagten.
Der Morgen graute zunächst feucht und windig, doch als die rabenschwarze Nacht endgültig gewichen und die Wüste in rosa, dann fahlgelbes Licht getaucht war, hatte die Sonne dem Sand schon wieder seine volle, weiche Wärme zurückgegeben. Josef erwachte wie gerädert und streckte vorsichtig seine schmerzenden alten Glieder. Seit langem schon brachten ihm die Nächte nicht mehr die Erholung, wie er sie in seiner Jugend gefunden hatte, doch viele würden ihm ohnehin nicht mehr bleiben, bis jene große Nacht den Beschwerlichkeiten des Alters Gerechtigkeit widerfahren ließ. Er beugte sich über Maria; sie schlief noch, eine Hand sanft über Jesus gelegt. Das Kind hatte die Augen geöffnet und den Blick still auf Josef gerichtet. Ob es Hunger hatte, fragte sich Josef. Er würde Maria bald wecken müssen, damit sie es stillte, doch zuvor wollte Josef noch rasch einem eigenen Drang abhelfen. Er kletterte die Sanddüne hinauf, hinter die sie sich geflüchtet hatten, und glitt auf der anderen Seite ein wenig hinab, um sich dort zu erleichtern.
Als er wieder zurückkehrte, bemerkte er plötzlich einen Sandstreifen am Horizont, etwa eine Wegstunde von ihnen entfernt. Er erkannte eine Karawane, die sich offensichtlich Richtung Nordwesten bewegte. Sein Herz machte einen Luftsprung; vielleicht waren sie gerettet! Sie hatten kaum noch Proviant, und es war recht zweifelhaft, ob sie Hitze, Hunger, Durst und Erschöpfung gefahrlos überstehen konnten, bevor sie das Ziel erreichten, das Josef vor Augen schwebte: Alexandria. Wenn die Karawane sie mitnahm, würde er nicht mehr zu laufen brauchen. Er wußte, seine Beine waren zu schwach für die vielen Stunden Fußmarsch, die sie noch vor sich hatten. Er war zwar geflüchtet, um sein Leben zu retten, aber ohne eine rechte Vorstellung davon, was ihn nun erwartete. Wie konnte er sich der Karawane bemerkbar machen?
Eine Fliege auf einem Kamel war leichter zu erkennen als eine Wegstunde entfernt ein Mensch auf einer Düne. Also nahm Josef all seine Kräfte zusammen, rannte zu Maria, weckte sie schreiend und wies sie an, hier auf ihn zu warten. Dann bestieg er den Esel und trottete entlang der Düne so schnell wie irgend möglich auf die Karawane zu. Eine halbe Stunde später hatte er den Zug erreicht. Auf den ersten Blick erkannte er die Leute an ihren weißen Wollburnussen, den ausgemergelten Gesichtern und den pechschwarzen Krausbärten: Es waren Nabatäer. In Jerusalem hatte er schon viele gesehen. Sie waren Verbündete der Juden und verabscheuten Herodes. Sie waren reich, weil sie mit Edelsteinen handelten. Jene hier, das erfuhr
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