Ein Mensch namens Jesus
die deine und das Kind kümmern«, unterbrach ihn der Rabbiner. »Und du, setz dich doch, und gönne dir eine Mahlzeit! Später wollen wir alles bereden. Du mußt mir ja auch erzählen, warum du Jerusalem verlassen hast. Aber das hat Zeit, bis ihr euch in eurem neuen Heim eingerichtet habt.«
Und er führte Maria zu einer Tür, an der sie von einer fröhlichen Matrone, zweifellos der Frau des Rabbiners, empfangen wurde, Josef bat er in einen Raum, wo er einem Bediensteten anordnete, ihm eine Schüssel dicke Bohnen und Zwiebeln zu servieren. Dann ließ er ihn von demselben Diener zu dem Haus geleiten, das er für die Emigranten ausfindig gemacht hatte.
Bald hatte Josef in seinem neuen Haus das mitgebrachte Kleiderbündel abgesetzt und Maria sich darangemacht, die Fußböden zu fegen und die Strohmatratzen zu klopfen, auf denen sie schlafen wollten. Auch Bekanntschaft mit den neugierigen Nachbarn war schnell gemacht, die ihnen für ihre ersten Mahlzeiten einigen unentbehrlichen Hausrat liehen, bis sie sich selbst welchen gekauft hätten. Nachdem Josef in der Nachbarschaft eine Matrone von entsprechend solidem Lebenswandel gefunden hatte, um Maria in guter Obhut zu wissen, wenn er einmal nicht zu Hause war, und nachdem die Rauchschwaden des ersten Feuers im behelfsmäßigen Herd den Staubgeruch verdrängt hatten und es nach verbranntem Bergahorn roch, wurde es Zeit für Josef, der Synagoge wieder einen Besuch abzustatten. Vor allem mußte er den Preis für die Perle aushandeln, denn er hatte kaum Geld, und außerdem wartete der Rabbiner auf seine Erklärungen, weshalb sie aus Jerusalem geflohen waren. Er riskierte sonst, trotz seines hohen Alters irgendeiner schweren Straftat verdächtigt zu werden.
Er sei kurz nach Mitternacht geflohen, berichtete er dem Rabbiner, der Eleasar hieß, weil ein Schriftgelehrter, mit dem er freundschaftlich verbunden sei, einer jener Pharisäer, die sich in die Dienstbotengeschosse des königlichen Palastes eingeschleust hatten, gekommen sei, um ihn zu warnen. »Du mußt unbedingt noch vor Morgengrauen aus Jerusalem verschwinden«, habe der Freund geraten. »Herodes plant, einige von uns zu verhaften, vor allem diejenigen, die mit Pheroras’ Frau auf gutem Fuße gestanden haben.« Pheroras war Herodes’ Schwager, den er zum Tetrarchen über Peräa und Batanäa ernannt hatte. Für diese Gunst hätte er eigentlich ein Verbündeter des Tyrannen sein müssen, doch Herodes hatte keine wirklichen Verbündeten, da ihn alle nur fürchteten oder seinen Thron begehrten. Pheroras und seine Frau intrigierten also gegen all diejenigen, die den Weg zum Thron versperrten, vor allem gegen Herodes’ Söhne Alexander und Aristobul.
Die natürlichen Verbündeten der Verschwörergruppe um Pheroras und seine Gemahlin seien die Pharisäer, erklärte Josef. Als Strenggläubige, die leidenschaftlich das Prinzip der Offenbarungslegitimität des israelischen Thrones verteidigten, verabscheuten sie natürlich Herodes, der kein Jude sei und als Thronräuber angesehen werde. Eleasar nickte. Das alles war ihm bekannt. Dieser Josef schien zu glauben, Alexandria befinde sich hinter dem Mond.
»Übrigens«, fuhr Josef fort, »in Alexandria gibt es noch weitaus schwerwiegendere Gründe, ihn zu hassen. Erinnerst du dich, was er vor vierzig Jahren 5 anrichtete?« Und ohne Eleasars Kopfnicken zu beachten, fuhr er fort: »Er war damals erst Statthalter von Galiläa; wir wurden von den Römern bedrängt; sie erhoben unerträglich hohe Steuern, quälten unsere Väter und entehrten unsere Frauen. Und als wir uns dagegen auflehnten, hat er im Namen der Römer Rache geübt, indem er die besten von uns zu Hunderten niedermetzeln ließ...«
»Ja, ich erinnere mich«, unterbrach ihn Eleasar. »Nach jenem Massaker sind viele Juden nach Ägypten geflohen.«
»Daraufhin«, sprach Josef weiter, »hat ihn der Hohe Rat vorgeladen, damit er Rechenschaft ablege über seine Grausamkeit. Herodes hat ihn nur gedemütigt. Und als er aufgrund seiner verachtenswerten Machenschaften dank Rom König wurde, hat er nahezu alle Mitglieder des Hohen Rates töten lassen.« Josefs Stimme bebte vor Empörung und erstickte schließlich in einem Schluchzer.
»Ich weiß«, sagte Eleasar beschwichtigend und verjagte dabei eine Fliege mit dem Handrücken, »danach suchten noch mehr Leute in Alexandria Zuflucht. Und dann gab es eine noch größere Revolte. Und es waren noch mehr, die sich hierher flüchteten.«
»Und was unseren derzeitigen Hohen Rat
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