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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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falsche Nacht wich der echten. Der Wind trieb die Wolken nach Westen fort.
    »Ich will hin, und zwar sofort!« sagte Salome zu ihrer Großmutter. »Frauen haben auf dem Golgota nichts zu suchen«, erwiderte Maria, die Witwe des Kleophas. Das fehlte noch: nackte Männer, wie sie am Kreuze hingen, dachte sie bei sich. »Außerdem kümmert man sich ja um ihn. Wir werden ihn später sehen, wenn er noch am Leben ist.« Maria Magdalena, die Schwester des Lazarus, blieb schweigsam; auch sie suchte nach einem Vorwand, um zur Schädelhöhe hinauszukommen. Doch am Vorabend des Passah-Festes blieb es gewiß nicht unbemerkt, wenn Frauen das Efraim-Tor passierten.
    »Dann gehe ich eben allein«, erklärte Salome entschlossen, warf sich den Mantel über und war schon an der Tür.
    »Ich gehe mit ihr«, sagte Maria Magdalena rasch und erhob sich. »Wartet doch!« rief Maria. »Na gut, ich komme mit.« Sie klatschte in die Hände, woraufhin eine Dienerin erschien. »Bring mir einen schwarzen Umhang, Mädchen, und sag Hussein, er soll sich bereit machen, um uns zur Stadt hinauszubegleiten!«
    Bald darauf schlugen die drei Frauen unter dem wachsamen Schutz eines bewaffneten Nabatäers den Weg zum Efraim-Tor ein. Die drei Schatten huschten am hell erleuchteten Palast der Hasmonäer entlang und gelangten durch die erste Stadtmauer. Von den Posten, die sich der Kälte wegen in ihre Wachstuben zurückgezogen hatten, wurden sie auch an der zweiten Mauer nicht bemerkt. Als sie den Golgota erreichten, verhielten sie unwillkürlich ihre Schritte; sie hatten soeben die drei vom Fackelschein beleuchteten Kreuze mit den Körpern der Hingerichteten erblickt. Am Himmel oben kreisten Sperber und Geier.
    Die drei Frauen hielten sich in einiger Entfernung und beobachteten das Geschehen. Gut zwei Dutzend Personen standen herum, die Hälfte davon römische Soldaten. Ein Römer griff nach einer Zange, zog den Nagel heraus, der Jesus’ Füße durchbohrte, und warf ihn auf den Boden. Der Nagel schlug klirrend auf einem Stein auf. Unter dem wachsamen Auge zweier in Umhänge gehüllter Männer lehnte der Römer, dem noch drei andere zur Hand gingen, dann eine Leiter an die linke Seite des Kreuzes und zog den Nagel aus dem rechten Handgelenk. Der Körper des Gekreuzigten fiel ihm entgegen, da er nur noch am linken Handgelenk am Kreuz gehalten wurde. Die Helfer beeilten sich, den Körper, der durch die geringe Höhe des Kreuzes kaum drei Ellen 13 über dem Erdboden hing, an den Füßen zu stützen, während ihr Kamerad von der Leiter stieg und diese auf der rechten Seite des Kreuzes anlehnte. Er entfernte nun auch den anderen Nagel und stieg vorsichtig, um sein Gleichgewicht bemüht, mit seiner Last die Leiter hinab. Vier Männer also hielten den Körper, den sie auf dem Boden absetzten. Einer der beiden verhüllten Zuschauer beugte sich über den Gekreuzigten und hielt sein Ohr an dessen Brust. Der Wind riß die Worte mit sich fort, die er an die Umstehenden richtete. Seine Kapuze war zurückgefallen, und Maria erkannte ihn plötzlich: Es war Josef von Arimathäa. Der andere mußte demnach Nikodemus sein, der nun das Leichentuch ausbreitete, das er unter dem Arm gehalten hatte. Ihn unter den Achseln und an den Füßen fassend, legten sie Jesus auf das Leichentuch, das aus einer langen Stoffbahn bestand. Sie bestreuten ihn mit etwas, das sie zwei mitgebrachten Beuteln entnahmen und das aus der Entfernung wie Sand aussah. Dann schlugen sie ihn in das Tuch ein. Myrrhe und Aloe, um dem Verwesungsgeruch vorzubeugen, dachte Maria. Pfundweise Myrrhe und Aloe, überlegte sie weiter, aber sie haben ihm weder die Kinnbinde umgebunden noch das Schweißtuch aufgelegt. Sie wußte nicht, was sie davon halten sollte. War Jesus wirklich tot? Das Gebaren dieser Laientotengräber jedenfalls war merkwürdig. Mit Sicherheit wußten diese beiden Mitglieder des Hohen Rates, daß ein Leichnam gewaschen werden mußte, bevor man ihn in ein Leichentuch wickelte. Auch, daß man ihm das Kinn hochzubinden und das Schweißtuch aufzulegen hatte. Was dachten sie sich nur dabei? Zwar hatten sie auf jedes Auge eine Silbermünze gelegt, aber... Maria kniff die Augen zusammen: dieses Taschentuch, das Nikodemus da in der Hand hielt — aber, das war ja das Schweißtuch! Sie stieß Maria Magdalena an.
    »Das Schweißtuch...«, flüsterte sie.
    Maria Magdalena nickte. Auch ihr war aufgefallen, wie eigentümlich das Zeremoniell vonstatten ging.
    Die Römer machten sich nun daran, die beiden

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