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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Christen verschiedenster Benennung gelesen und praktiziert. Noch verwirrender aber ist die Tatsache, daß diese Christen neben den vier kanonischen Evangelien des Neuen Testaments nicht weniger als einunddreißig weitere Evangelien lasen, die später aus dem Verkehr gezogen wurden. Zu diesem Zweck wurde im 5. Jahrhundert das Decretum Gelasianum beschlossen, das wohl weniger dem Papst Gelasius I. zuzuschreiben ist — er war vermutlich gar nicht daran beteiligt — als vielmehr religiösen Autoritäten, die in diesem Punkt einer Meinung mit dem heiligen Hieronymus waren.
    Mehrere dieser Evangelien sind nach den Fragmenten, die auf uns kamen, nur naive Hagiographien, in denen man wohl eher phantastische Geschichten als Zeugenberichte sehen sollte. Sie bergen oft Widersprüche in sich, was sicher auch der Grund für Hieronymus’ negative Einstellung ihnen gegenüber war. Er nannte sie, indem er auf die Bezeichnung seines Vorgängers Orígenes zurückgriff, »apokryph«, was in der Übersetzung keineswegs »unecht« bedeutet, sondern wortwörtlich »verborgen«, im heutigen Sprachgebrauch »parallel«. Inzwischen gibt es mehrere hervorragende kritische Ausgaben der Apokryphen, die ich zu den neueren historischen Grundlagen zähle. Um die Person Josefs zu rekonstruieren, habe ich dabei in verstärktem Maße auf das Protevangelium des Jakobus zurückgegriffen, und zwar aus einem rein psychologischen Grund: Es »klingt« besonders echt.
    In den kanonischen Evangelien wird Josef nur gezwungenermaßen erwähnt; er ist eine notwendige, jedoch farblose Gestalt, mit dem einzigen Bestimmungszweck, Jesus eine davidische Herkunft zu verschaffen. Leider sind die ausführlichen Geschlechterfolgen von Matthäus und Lukas unbrauchbar, das sei nur nebenbei bemerkt, und das Decretum Gelasianum hätte gut daran getan, auch sie auszumerzen, weil sie voller Widersprüche stecken. Da sie sich nicht einig waren, welches der Kinder Davids nun am Ursprung der königlichen Herkunft Jesus’ stand — das ist ein wesentlicher Punkt, denn die kanonischen Evangelien erwähnen mehrmals die vorherbestimmte, natürliche Abstammung des Messias aus dem davidischen Geschlecht — , haben die beiden Apostel ganzen Generationen von Exegeten Kopfzerbrechen bereitet. Ein übrigens um so sinnloseres Kopfzerbrechen, als alle Evangelisten erklären, daß Josef keinesfalls an Jesus’ Zeugung beteiligt war, was von vornherein seine schon immer fragliche Funktion zunichte macht, als Glied in der Kette des davidischen Geschlechts zu agieren. Zudem berichtet der antike Geschichtsschreiber Julius Africanus, daß Herodes der Große die Aufzeichnungen der Ahnenfolgen aller jüdischen Familien hatte vergraben lassen, um jeglichen Herrschaftsansprüchen vorzubeugen.
    So stünde man also dem Rätsel des recht verschwommen gehaltenen Josefsbildes vollkommen hilflos gegenüber, gäbe es da nicht ein paar Hinweise, die man sich sowohl aus den kanonischen Evangelien wie auch aus den Apokryphen zusammentragen kann. Josef war Priester. Diese gewagte Behauptung läßt sich damit begründen, daß nach Lukas (1,36) Maria, Jesus’ Mutter, eine Verwandte der Elisabeth ist, der Mutter des Täufers Jokanaan und Frau des Priesters Zacharias, die selbst aus einer Priesterfamilie stammt. Das nun bedeutet, daß Maria einer Priesterfamilie angehörte. Nach jüdischem Brauch, der in dieser Hinsicht sehr streng war, konnte sie somit nur einen Priester heiraten, es sei denn, sie wäre unehelich geboren, das Kind eines Proselyten oder einer freigegebenen Sklavin. Die Tatsache jedoch, daß die Priester so um Marias Schicksal besorgt sind, wie aus dem Protevangelium des Jakobus hervorgeht, schließt diese drei Möglichkeiten aus und legt unweigerlich eine vierte nahe, nämlich die, daß Maria ein Waisenkind und Tochter aus einer Priesterfamilie war.
    Natürlich kann man sich fragen, und mir wurde die Frage tatsächlich gestellt, warum dieser Punkt so wichtig sein soll. Er ist von großer Bedeutung, denn entweder vertritt man die Hypothese einer historischen Existenz Jesus’, und in diesem Fall ist die Person seines Vaters, auch wenn er nur Adoptivvater war, entscheidend; oder aber man verschanzt sich unter dem Vorwand, Jesus’ Person sei immateriell, da ja göttlicher Herkunft, hinter dem reinen Mythos, und dann ist schwerlich zu erkennen, wozu die irdisch-weltlichen Hinweise in den kanonischen oder apokryphen Evangelien gut sein sollen.
    Kein anderer als Josef hat Jesus seine ersten

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