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Ein Mensch namens Jesus

Ein Mensch namens Jesus

Titel: Ein Mensch namens Jesus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Messadié
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Essener gegenüber Juden wie uns kaum Nachsicht walten lassen.«
    »Doch, doch, ich verstehe...«, murmelte Joram. »Außerdem: ist es wahr, daß sie unverheiratet bleiben?«
    »Ich sagte ja schon, sie verachten die Ehe, obwohl es in einigen Gemeinschaften, die am Rande der Städte leben, auch verheiratete Essener gibt. Doch diese werden als willensschwache Sektenbrüder zweiten Ranges angesehen. In den großen Essenerhochburgen wie Qumran und jener am See Mareotis ist das Zölibat absolute Vorschrift. Doch du kannst mir glauben, trotz dieser strengen Regeln kann man es sich dort leisten, viele, die das Noviziat antreten möchten, zurückzuweisen. Nicht immer hat das geistige und moralische Gründe, sondern in manchen Fallen erfüllt der Körper des Bewerbers nicht die gewünschten Bedingungen. In diesem Punkt sind die Essener überaus anspruchsvoll: Ein Novize darf weder an einer Krankheit leiden noch irgendeinen körperlichen Mangel haben. Er muß wohlproportioniert gebaut sein, schlanke Fesseln haben, vollentwickelte Muskeln, breite Schultern und schmale Hüften; er muß ausgewogene Gesichtszüge, gepflegte Haare sowie schmale Hände und Füße aufweisen können. Eine behaarte Brust ebenso wie plumpe Füße, zu stämmige Beine oder eine fleischige Nase können bereits ein Grund sein, abgewiesen zu werden.«
    »Eine solche Wertschätzung körperlicher Vorzüge scheint mir einigermaßen suspekt«, bemerkte Joram spitz.
    »Ich kann mir denken, worauf du anspielst«, meinte Josef von Arimathäa, der sich erneut erhoben hatte, um ihre Becher nachzufüllen, diesmal mit Granatapfelsaft, dem Pinienkerne und saftiges Fruchtfleisch von Orangen beigesetzt waren. »Aber die Gründe für diese Auswahlkriterien scheinen anderswo zu liegen. Die Essener sind der Ansicht, daß der Körper die innere Schönheit eines Menschen widerspiegelt. Jedenfalls bezweifle ich, daß die anatomischen Vorzüge des männlichen Körpers von den Essenern als Objekt des Genusses gesehen werden. Jegliches unkeusche Verhalten wird nämlich vorschriftsmäßig bestraft.«
    Joram nippte genießerisch an seinem Becher und grübelte. »Warum leben sie nicht alle in Qumran?« fragte er nach einer Weile.
    »Ich glaube, das haben sie ursprünglich auch getan, bis vor dreißig Jahren, als es jenes schreckliche Erdbeben gab, an das du dich sicher erinnern kannst. Dieses Beben hat einen Teil von Qumran zerstört. Die Essener interpretierten diese Katastrophe als ein Zeichen des Zorns Gottes. Sie zerstreuten sich in die Wüste. Dann tauchte wohl der Gedanke auf, daß das Erdbeben nur ein warnender Fingerzeig gewesen sei. Manche kehrten deshalb nach Qumran zurück, wo sie die zerstörten Gebäude wieder neu errichteten, die übrigen haben sich andernorts niedergelassen.«
    »Und ihr, wie denkt ihr über all das?«
    »Oft kommt das Thema bei uns im Tempel nicht zur Sprache. Die Essener leben zurückgezogen, und weder die eine noch die andere Seite hegt den Wunsch nach Annäherung. Es ist kein Geheimnis, daß der Klerus und die führenden Persönlichkeiten im Sanhedrin die Essener nicht sonderlich schätzen. Ihre strikte Befolgung des Mosaischen Gesetzes und ihre Moralgrundsätze sind über jede Kritik erhaben, gewiß, aber sie scheuen sich auch nicht, über alle Dächer hinweg, ihre abgrundtiefe Verachtung für den Tempel und seine Diener hinauszuschreien. Der Hohe Rat ist für sie eine Versammlung von Schurken. Aber ich darf doch sichergehen, lieber Freund, daß du all dies hier als streng vertraulich behandelst?«
    »Zwinge mich nicht, am heiligen Sabbat den Namen des Herrn anzurufen!« protestierte Joram. »Ich bin dir sehr dankbar für die wertvollen Auskünfte, die du mir gegeben hast, und noch mehr für diejenigen, die du mir noch erteilen wirst. Sie werden mir zu meiner persönlichen Orientierung dienen.«
    »In diesem Fall möchte ich hinzufügen, daß die Pharisäer wie auch die Sadduzäer gleichermaßen darüber verärgert sind, daß die Tugenden der Essener im Vergleich zu den unseren eine Herausforderung darstellen. Nachdem sie keinen Handel treiben, sondern sich mit ihrer Hände Arbeit als Bauern, Maurer, Weber, Töpfer und vielem mehr selbst genügen, machen sie auch keine schnöden Gewinne; nicht ein einziger Essener ist reich. Niemals können sie eines Vergehens beschuldigt werden wie etwa des Verkaufs zu knapp bemessener Scheffel Getreide oder zehnfacher Preise in Hungerjahren. Sie sind ein Muster an Ehrenhaftigkeit, und ich fürchte, daß man

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